Alles Fleisch ist Gras
setzen ihm einen Termin. Ich weiß auch schon, wie.«
*
Anton Galba hatte viel vergebliche Hirnarbeit darauf verwendet, wie er den Aufenthaltsort von Chefinspektor Weiß ausfindig machen könnte. Er musste mit Nathanael sprechen, sonst war sein Plan B unmöglich. Weiß stand nicht im Telefonbuch, weder Festnetz- noch Mobilnummer, nicht ungewöhnlich bei einem Polizisten, der seine finster gesinnten Bekannten aus dem Milieu nicht zum Telefonterror einladen durfte. Im Telefonverzeichnis seines Handys fand Galba keinen Eintrag. Bei den Anrufen von Weiß war die Nummer immer unterdrückt gewesen. Auf der Dienststelle brauchte er nicht zu fragen, das würde ihn nur verdächtig machen. Wenn Weiß auf Skiurlaub war, könnte er die Hotels durchtelefonieren. Am Arlberg und im Montafon. Was sich als relativ sinnloserweisen würde, wenn Nathanael Weiß zum Beispiel auf die Kanaren geflogen war. Oder nach Dubai. Oder … Das war alles sinnlos.
Das hatte keinen Zweck. Urlaub war Urlaub. Solche Unterbrechungen gab es im bürgerlichen Leben. Ihm blieb nur, die Lokalnachrichten zu verfolgen und möglichst keinen Verdacht zu erregen. Irgendwann würde Nathanael Weiß aus dem Urlaub zurückkehren, von Herrn Hämmerle die gesammelte Post in Empfang nehmen und die Wermutflasche des anonymen Spenders. Die Sache war so oder so verhackt, aber jetzt war es zu spät, sich einen anderen Plan auszudenken. Die Flasche bekam er nicht mehr in die Hand.
Als er sich eben damit abgefunden hatte, sich einen vollkommen idiotischen Plan ausgedacht zu haben, der notwendigerweise scheitern würde, rief ihn Nathanael Weiß an.
»Hör zu«, sagte er ohne Gruß, »ich hab nicht viel Zeit. Du musst etwas für mich erledigen.«
»Aha. Ich dachte, du bist im Urlaub …«
»Bin ich auch noch. Aber es ist etwas dazwischengekommen. Wegen unseres Planes.«
»Plan?«
»Ja, wegen der Skitour. Ich habe mich entschlossen, euch mitzunehmen, dich und den Ingo. Ich erreich ihn nicht, bitte, ruf ihn an und sag, dass wir uns alle drei treffen: am Samstag bei mir im Haus. Sagen wir um zwei. Okay?«
»Den Ingo anrufen. Um zwei bei dir, okay. Wie geht’s dir so? Wie ist der Urlaub?«
»Ganz schön, herrliches Wetter. Okay, machst du das?«
Was? Ach so, der Anruf bei Kranz. Galba überlegte. So schnell, dass alles um ihn herum in Zeitlupe abzulaufen schien. Das war eine Gabe, schnell zu denken. Weiß würde bis Samstag zurückkehren. Alles kam ins Lot. Mit Post beimNachbarn abholen und so. Und Flasche abholen. Die Flasche. Er wäre ruhiger, wenn er wüsste, wo sie war. Daher sagte er:
»Bei euch in der Straße passieren merkwürdige Dinge.«
»Was denn?«
»Ein Wohltäter hat an alle Einwohner Flaschen verschenkt – eine Frau hat mir das erzählt, ich weiß aber nicht, ob sie selber dort wohnt oder nur davon gehört hat. Er hat sie einfach vor die Tür gestellt. Soll ich sie für dich aufheben?«
Nun überlegte Nathanael Weiß genauso schnell wie Anton Galba. Diese Scheißflasche! Wenn der Anton hinging, wäre sie weg. Warum? Weil jemand sie weggenommen hatte. Jemand aus dem Haus Nummer 20. Vielleicht war noch anderes weggekommen. Anton war imstande, die Polizei zu rufen. Die Kollegen würden ein Auge auf das Haus haben. Bei Tag und, ja, auch bei Nacht. Mit der Streife vorbeifahren. Genau dann, wenn ein bestimmter Zeitgenosse ebenfalls einen Blick auf das Haus Nummer 20 werfen wollte. Und in das Haus. Dieser eine würde davon absehen, wenn die Polizei in der Gegend herumkurvte. Die Wahrscheinlichkeit für das Zutreffen all dieser Annahmen war gering, aber nicht null. Besser kein Risiko eingehen. Anton Galba und alle Kollegen sollten sich in den nächsten Tagen von der Beethovenstraße fernhalten. Und erst recht in den nächsten Nächten. Also sagte Nathanael Weiß:
»Ach, die Flasche! Ja, ein Nachbar hat mich angerufen, er hat sie bei mir reingestellt, du brauchst dich nicht zu bemühen. Du rufst mir den Ingo an, verlässlich?«
»Du kannst dich auf mich verlassen.«
Anton Galba war froh, dass der Chefinspektor aufgelegt hatte, denn das Lachen der Erleichterung brach aus ihm hervor wie ein Sturzbach. Alles löste sich in Wohlgefallen auf. Die Flasche war im Haus Nummer 20! Dort stand sie und warteteauf den Funkbefehl. Wo genau im Haus sie stand, war unerheblich. Und den Anruf bei Ingomar Kranz würde er pflichtschuldigst erledigen, auch den kindischen Räuber-und-Gendarm-Jargon verwenden. Codewort Skitour ! Na, wenn schon. Es würde nur keine Skitour
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