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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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selber als etwas Angeborenes, also Ererbtes, das man in Zukunft sogar im genetischen Code würde festmachen können; irgendein Steuerungsprotein ließ die Menschen böse sein im Grunde ihres Herzens.
    Die zweite durch jenen Blick angezeigte Verderbtheit war von anderer, höherer Art; nicht auf der biologischen Ebene gegründet, sondern im Geist. Weiß hatte nie einen besseren Vergleich dafür gefunden. Diese Bosheit der zweiten Art , wie er sie bei sich nannte, besaß ein Element der Freiheit, hatte etwas Unstetes, Umherschweifendes, geradezu Suchendes an sich; es erschien wie frei gewählt, obwohl er Hinweise auf eine tatsächliche Wahl in keinem einzigen Fall gefunden hatte. Diese Menschen hatten keinen Teufelspakt abgeschlossen und glaubten in ihrer großen Mehrheit ebenso wenig an das Böse wie alle anderen.
    Weiß hatte kein ausgeprägtes Interesse an diesen Dingen, das Nachdenken darüber wurde ihm bald einmal zu theologisch. So beschränkte er sich darauf, die Betreffenden im Auge zu behalten, wenn er ihnen begegnet war. Sie enttäuschten seine Erwartung nie. Irgendwann, und sei es nach Jahren, brach das Böse aus ihnen heraus; sie sprachen böse Worte, taten böse Dinge und bereiteten Unheil und Zerstörung allen, die um sie waren. Erst dann konnte der Polizist Nathanael Weiß eingreifen, manchmal erwischte er sie aber schon bei der ersten harmlos scheinenden Übertretung und konnte das Böse dadurch im Zaum halten, nur eine Zeitlang, aber eben doch.
    Er hatte über seine Fähigkeit, den bösen Blick zu erkennen, nie mit jemandem gesprochen; denn dass aus einem solchenBekenntnis nur massiver Ärger entstehen konnte, war ihm von allem Anfang an klar gewesen. Er sagte im Gespräch mit Kollegen nur: »Dem XY trau ich nicht, den sollten wir im Auge behalten …« XY, nur als Zeuge in einer Verkehrssache aufgerufen, verhielt sich dann so, wie Chefinspektor Weiß es angekündigt hatte, und überfiel zum Beispiel eine Tankstelle oder verprügelte jemanden im Wirtshaus. So ein Fall kam etwa alle zwei Jahre einmal vor und begründete seinen Ruf, über den sechsten Sinn zu verfügen. Wenn Chefinspektor Weiß einem Menschen dieser Art begegnete, erkannte er ihn.
    Ein Mensch dieser Art war Gerhard Hopfner.
    Mittelgroß, blassblond. Hopfner war ein sehr begüterter Landwirt, der sich auf Gemüsebau spezialisiert hatte. Mit seiner großen Familie bewirtschaftete er Äcker in der Nähe von Feldkirch und versorgte mit seinen Produkten Feldkirch und Umgebung auf den Bauernmärkten. Er lachte gern, zeigte ein freundliches, offenes Wesen, war bei den Kunden beliebt. Weiß hatte Hopfner nicht gekannt – es war ein Vorurteil, dass sich alle Vorarlberger kannten oder miteinander verwandt waren. Als Dornbirner kam Weiß selten nach Feldkirch. Dornbirner fuhren nach Bregenz oder in den Bregenzerwald, aber nicht nach Feldkirch; für andere Vorarlberger galten entsprechende andere Begrenzungsregeln. Ein Dornbirner traf einen Feldkircher eher in St. Gallen oder Zürich oder Lindau als in Feldkirch. Oder aber eben in Vigaun in der Nähe von Salzburg in einem Reha-Zentrum.
    Hopfner hatte nach eigenem Bekunden einen Unfall mit dem Traktor erlitten oder »sich den Rücken verrissen«, ganz klar wurde das nicht, jetzt war er jedenfalls hier, um die Schäden an seinem Bewegungsapparat auszukurieren. Auf Hopfner aufmerksam wurde Weiß, weil der Gemüsebauer laut und gerne redete. Er hatte die Fähigkeit, zu erzählen, auch solcheSachen, die niemanden interessierten, so zu erzählen, dass man zuhören musste.
    Weiß glaubte nicht, was er da hörte, für ihn klang alles nach Erfindung, nur dazu da, ein tief innen liegendes Manko zu verbergen.
    Denn Hopfner hatte den bösen Blick.
    Er war sicher, dass dieser Hopfner ebenso wie alle seine Vorgänger letztendlich das tun würde, was in seinem Blick beschlossen lag, auch wenn er selbst nichts davon erfahren würde. Der Mann wohnte in Altenstadt, mit ihm würden sich dann die Feldkircher Kollegen befassen, wenn es so weit war. Er hielt Abstand zu Gerhard Hopfner.
    Genau so wäre es auch gekommen, wenn Hopfner nicht Besuch erhalten hätte. Eine kleine Frau mit blassem Gesicht saß eines Tages im Aufenthaltsraum, eine Tasse Tee vor sich. Sie blickte auf und lächelte, als Weiß den Raum betrat. Sie lächelte ihn an. Ganz, ganz schlecht. Weiß erkannte solche Frauen auf den ersten Blick. Sie gerieten ihrer Wesensart wegen in Schwierigkeiten, das war das Problem aus polizeilicher Sicht. Die

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