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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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niemand wünscht sich, dass er wiederkommt. Das ist doch bemerkenswert, oder?«
    »Tja«, sagte Galba.
    »Du bist heute so schweigsam. Ist irgendwas?«
    Galba blickte auf. »Ich sehe nicht, worauf du hinauswillst.«
    »Worauf ich hinauswill? Mein lieber Toni, wie kommst du darauf, dass ich auf irgendwas hinauswill? Ich denke nur einfach über das Leben nach, die Dinge und Menschen. Das ist doch normal, oder?«
    »Die Dinge und Menschen, aha …«
    »Ja, die Begebenheiten, was mir so untergekommen ist inletzter Zeit. Machst du das nie, machst du dir nie Gedanken, meine ich?«
    »Ununterbrochen …«
    »Na also. Warum sprichst du dann nicht darüber? Das ist nicht gut, alles in sich reinzufressen, glaub mir, das führt nur zu psychosomatischen Problemen oder zur Sucht …«
    »… Ich fresse nichts in mich rein!«
    »Siehst du …!«
    »… was?«
    »… wie aggressiv du reagierst? Das ist doch schon ein Symptom …«
    »… Ich mache mir Sorgen. Und frag jetzt nicht, weswegen ? Du weißt genau, weswegen. Diese … diese … Vermisstenfälle. Was ist damit? Was willst du mir schonend beibringen? Und erzähl mir nicht, du hast mich herbestellt, um mit mir zu essen! Da ist doch was aufgetaucht, etwas Unvorhergesehenes, vielleicht auch Unvorhersehbares, was weiß denn ich, ich bin kein Polizist, und jetzt sitzen wir in der Scheißgasse … Also sag schon, was es ist!«
    Weiß lächelte ihn an. »Du hast recht«, sagte er. »Du bist kein Polizist, das stimmt. Das ist aber auch das Einzige, was stimmt in deiner langen Rede. Du bist kein Polizist. Aber ich bin einer. Wenn wirklich so etwas auftaucht, etwas Unvorhersehbares, ein Problem – dann reagiere ich darauf, dann beseitige ich das Problem. Ich ruf nicht den Diplomingenieur Galba an, um mit ihm essen zu gehen.«
    »Warum dann?«
    »Was dann?«
    »Warum hast du dann angerufen?«
    »Um mit dir essen zu gehen. Und meine Gedanken zu klären …«
    »Ich hab halt das Gefühl, ich kann dir da wenig nützen.Wenn die Sache selber keine Probleme macht … dann ist sie vorbei. Abgeschlossen … Ihr legt das zu den Akten, oder wie ihr das nennt.«
    »Was die Vergangenheit betrifft, hast du recht, das ist abgeschlossen. Faktisch. Nicht aber, was die Zukunft betrifft …«
    »Welche Zukunft?«
    »Na, unsere Zukunft. Wir haben doch eine?«
    Er setzte die Tasse ab und schaute Galba an. Dem erschien der Blick des Polizisten ruhig. Ruhig und fest. Forschend. Galba konnte sich nicht erinnern, dass sein Schulkollege je so einen Blick gehabt hätte; er hielt ihm nicht stand. Verrührte die längst gleich verteilte Milch im Kaffee.
    »Ich weiß nicht, was du meinst – mit Zukunft. Klär mich auf.«
    »Nun, das will ich gerne tun. Schau, Anton, diese beiden Personen, um die es da gegangen ist … Ich meine, man kann auch stundenlang darum herumreden, oder man kann es sagen, wie es ist: Um die zwei ist es nicht schade. Das ist die Wahrheit und du weißt das!«
    »Nicht so laut!«, zischte Galba.
    Weiß beugte sich vor, flüsterte übertrieben laut: »Schön, ich bin ganz leise, aber wahr bleibt es doch: Die waren nichts wert. Sie haben nichts getaugt. Auf diesen Nenner kannst du es bringen.«
    »Da hätt’ ich aber gleich zwei Fragen. Erstens: Wer bestimmt, wer was taugt und wer nicht? Zweitens: Vorausgesetzt, es taugt einer wirklich nichts, es bestehe darüber ein wie immer gearteter Konsens: Ist … Verschwinden dann wirklich die adäquate … wie soll ich sagen … Maßnahme, damit umzugehen?«
    Weiß lehnte sich zurück, schaute auf den Bodensee und winkte nach geraumer Weile der Kellnerin. Sie kam, er zahltefür beide. Gesprochen wurde nichts. Anton Galba beruhigte sich. Er hatte mit seinen Fragen dem Polizisten den Wind aus den Segeln genommen. Natürlich: die Anspannung, das … Erlebnis (Galba vermied es, sich im Einzelnen auszumalen, was Weiß mit Stadler erlebt hatte) – das alles mochte ausreichen, die überreizte Phantasie auf seltsame Pfade zu führen. Solche Pfade mussten sie vermeiden. Jetzt konnte es doch nur noch um das berühmte Gras gehen, jenes Gras, das langsam, aber stetig über die Sache wachsen würde, jeden Tag und jede Nacht, sogar jede Stunde und Minute, ob sie nun daran dachten oder nicht, ob sie sich sorgten oder nicht – diese beiden, wie hießen sie noch gleich? Ach ja, Mathis und Stadler … würden mit jeder vergehenden Sekunde ein kleines Stück in die Vergangenheit rutschen, immer weiter weg von der Gegenwart, auf die allein es ankam. Immer weiter weg

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