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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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diesem Treiben ein Riegel vorgeschoben werden müsse. Vielleicht stimmte das ja alles auch. Ungefähr. Aber was half ihm das jetzt?
    »An unserer psychischen Grundkonstellation können wir nichts ändern«, sagte Dr. Harlander. »Dagegen gibt’s auch keine Pillen. Aber wenn wir, wie hier, die wahrscheinliche Ursache herausgefunden haben, ergibt sich die Therapie von selbst …«
    »Du meinst, ich sollte …«
    »… es lassen, ja. Da kommt nie was Gescheites dabei heraus. Ich sehe solche Fälle hier in der Praxis. Nicht einen oder zwei, sondern viele. Er älter, sie bedeutend jünger. Manchmal verlässt er sogar seine Frau, heiratet die Jüngere. Gut geht das nie.«
    »Aber« – das konnte Galba sich nun doch nicht verkneifen, den Naturwissenschaftler mit seiner Expertise, Daten zu interpretieren, raushängen zu lassen – »aber du kriegst hier nur die zu sehen, bei denen es irgendwie schiefgelaufen ist – sonst wären sie nicht gekommen, oder? Du bist der Arzt …«
    »Ja, natürlich!« Harlander lachte auf, ein trockenes Meckern, fast tonlos. »Ich seh nur die einen, da hast du recht. Und draußen rennen die glücklichen Fremdgeher mit ihren glücklichen, deutlich jüngeren Zweitfrauen in Bataillonsstärke herum – beziehungsweise werden dann so nach zwanzig, dreißig Jahren von den immer noch jüngeren und immer noch glücklichen Zweitfrauen im Rollstuhl herumgeschoben! Meinst du das so?«
    »Du hast recht. Ich soll die Sache also beenden …«
    »Nicht nur das! Du sollst auch versuchen, dich deiner Frau wieder anzunähern. Ich weiß, das ist schwierig, wenn die Sache erst einmal so weit gediehen ist – aber versuch doch, etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen, da muss der Sex gar nicht einmal im Vordergrund stehen. Mach eine Reise, einen Wellnessurlaub vielleicht. Aber nicht ein mickriges Wochenende nebenbei. Schon zwei, drei Wochen. Und anständig weit weg!«
    »Du hast mir sehr geholfen. Das werd’ ich machen.«
    Mit dieser Antwort war Dr. Harlander zufrieden.
    Es folgte eine gründliche Untersuchung, die ergab, dass Anton Galba kerngesund war. Keine Kreislaufprobleme, kein rheumatischer Formenkreis , kein gar nichts. Also bekam er noch Viagra verschrieben, »falls sich mit der Ehefrau auf diesem Wellnessurlaub etwas ergibt«, wie Dr. Harlander zu bemerken beliebte. Anton Galba lächelte und hoffte dabei, jenes Ausmaß an Verlegenheit zu produzieren, das in dieser Komödie erwartet werden durfte – das Ganze war eine Szene auseinem Volksstück, keine Frage, das wurde ihm mit einem Schlag klar, einem modernisierten natürlich, kein Bauerntheater alten Schlages, aber in diese Richtung zielend. Der dynamische Jungbauer (oder doch besser Pensionswirt) zu Besuch bei seinem Schulfreund, dem Gemeindearzt. Den Dialog hätten sie mehrere Male unterbrechen müssen, weil das Publikum nach jedem Satz des Doktors tobte. Und erst recht nach den seinen! Obwohl kein einziger dieser Sätze lustig war.
    Als er Dr. Harlander verließ, hatte er Zeit gewonnen, nicht Tage, sondern Wochen. Allerdings nur, wenn er die Harlander’sche Diagnose auch seiner Frau mitteilte – nur mit dem Ausprobieren der teuren Potenzpillen würde es dann nichts werden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich auf einen therapeutischen Geschlechtsverkehr mit ihm einließ, kurz, nachdem sie erfahren hatte … Aber hallo: Hier eröffnete sich die Möglichkeit, das Ganze von Wochen auf Monate zu strecken! Der lange Prozess der Verarbeitung der Untreue, die Phase der Neuorientierung, dann die Vergebung, die vorsichtige Annäherung. Hoffentlich waren die Pillen bis dahin nicht abgelaufen … All das würde ihn beschäftigen, besser: Hilde würde dafür sorgen, dass es ihn beschäftigte, er würde Probleme haben. Anstelle jenes Problems, das er jetzt hatte. Der stecken gebliebene Mann im Häcksler. Oder die zwei Männer. Furchtbar, aber Vergangenheit. Beziehungsprobleme hatten den großen Vorteil, sich jeden Tag neu zu stellen, in neuer Ausformung; das war ein Prozess, der die Seele belastete. Auf jeden Fall aber so beschäftigte, dass für Träumereien keine Kraft und keine Zeit mehr bliebe. Buchstäblich.
    Schon dass er solche Überlegungen anstellte, während er heimfuhr, bewies ihm, dass der Arztbesuch schon wirkte; er hatte über psychologische Dinge noch nie nachgedacht, jetzt half ihm das Nachdenken und Ausspinnen, mit einer neuenSituation fertigzuwerden. Genial, wirklich. Er hätte sich das nie zugetraut. Es stimmt, dachte er, der Mensch

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