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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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hoffte, dass dem so sei. Er konnte nicht warten, bis ein Geeigneterer auftauchte, das wusste er, Nathanael war sehr effektiv, der fackelte nicht lang. Anton Galba hatte keine Zeit. Als er Kranz im Fernsehen vor dem Protzbau der Landesregierung etwas in die Kamera sagen sah, wusste er: Das war der Richtige. Er rief am nächsten Tag beim Rundfunk an und bat um ein Treffen.
    Ingomar Kranz hatte schnell recherchiert, dass der Leiter der ARA Dornbirn tatsächlich Anton Galba hieß und sich als Entwickler des Wunderdüngers Togapur in bestimmten Kreisen einen Namen gemacht hatte. Kurz: Bei diesem Galba handelte es sich offensichtlich nicht um einen verrückten Erfinder, das war kein Borderline-Fall, den es jetzt über die Grenze des Wahnsinns katapultiert hatte – und wenn er tatsächlich verrückt war, was man nach seinen Darlegungen annehmen musste, dann vermochte er diese geistige Abweichung sehr gut zu tarnen. Alles in sich schlüssig – wenn es als Ganzes eben nicht so verrückt geklungen hätte.
    »Ihnen ist doch klar«, sagte Ingomar Kranz, als der Ingenieur mit seiner Geschichte, die keine war, geendet hatte, »dass ich so etwas nicht einfach so bringen kann – im Fernsehen. Oder wie haben Sie sich das vorgestellt? Soll ich mit einem Kamerateam in die ARA fahren, mich dort hinstellen und behaupten, die Vermissten seien hier …«
    Galba unterbrach ihn mit Gelächter. Die Vorstellung eines Aufsagers von Ingomar Kranz auf seinem Betriebsgelände schien ihn zu erheitern. Kranz ließ ihn auslachen.
    »Ich brauche Beweise«, sagte er dann. »Etwas Stichhaltiges, Unwiderlegbares …«
    »Das kriegen Sie«, sagte Galba. »Ein Video. Sie kriegen alles auf Video. Ich habe eine Minikamera installiert …«
    »Wo?«
    »Na, über dem Häcksler!« Galba war verärgert. »Das hatte ich doch erklärt, dass man die Körper erst …«
    »Ja, ja, das hab ich verstanden, lassen Sie nur …« Ingomar Kranz wollte diese Stelle der Geschichte, die keine war, nicht mehr hören. Es schüttelte ihn bei der Vorstellung des Apparates, den ihm Galba in Details beschrieben hatte. Der Trichter, die Spindeln am unteren Ende …
    »Was ich nicht verstehe: Warum kommen Sie nicht gleich mit so einem Video zu mir? Warum erst dieses Vorfühlen?«
    Galba blickte ihn direkt an.
    »Das hab ich mir schon überlegt. Und mir vorgestellt, was Sie sagen würden, wenn Sie das Video gesehen haben. Sie würden nämlich sagen: Sind Sie wahnsinnig? Sie wissen von diesem abscheulichen Verbrechen und statt was dagegen zu tun, nehmen Sie es in aller Seelenruhe auf Video auf? Warum sind Sie nicht vorher zu mir gekommen? Genau das würde ich von Ihnen hören. Nun denn, ich bin vorher zu Ihnen gekommen. Hier bin ich.« Er lächelte, breitete die Arme aus. »Und nun? Nützt es was? Unternehmen Sie etwas? Nein. Denn Sie brauchen ja einen Beweis, das verstehe ich schon.« Er ließ die Arme sinken, beugte sich nach vorn über den Tisch. Er sprach nun so leise, dass ihn Kranz kaum verstehen konnte.
    »Ich will nur, dass eines klar ist: Der Nächste – ich meine den, den wir auf dem Video sehen werden –, der geht auf Ihr Konto, nicht auf meins. Meines ist belastet genug.« Er erhob sich. »Ich muss weiter. Sie bezahlen das Bier, Sie kriegen ja auch ein Video dafür.« Er ging.
    Ingomar Kranz rührte den Kaffee in der Tasse noch ein paarmal um, dann schob er sie weg, folgte einem Impuls, der übermächtigen Lust auf Bier, und trank das halbvolle Glas des Ingenieurs Anton Galba mit einem Zug aus. Schon als er das Glas absetzte, wusste er nicht, warum er das getan hatte. Er war verwirrt und fühlte sich nicht gut. Er hätte diesen Galba nie treffen sollen.
    Er trank nicht, wenn er Auto fuhr. Für gewöhnlich. Er dachte darüber nach, wann er das letzte Mal vor dem Fahren doch etwas getrunken hatte. Es fiel ihm nicht ein; nach einiger Zeit kam er zur Überzeugung, dass er das überhaupt noch nie kombiniert hatte, trinken und Auto fahren. Konnte das sein?Ja, das konnte sein, so weit kannte er sich. Er war geprägt von festen Überzeugungen und Gewohnheiten. Die Überzeugungen waren keine philosophischen, sondern normative; Ingomar Kranz war es wurscht, was die Welt im Innersten zusammenhält, ihn interessierte nur, was sein sollte und was nicht. Er besaß ein feines Sensorium für Regelverstöße; alle, die ihn kannten, nannten es ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – das traf es aber nicht, wie er wohl wusste. Er konnte Gesetzesübertretung nicht ausstehen, das stimmte

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