Alles Fleisch ist Gras
niemand. Ich könnte tot vom Stuhl fallen, sie würden es erst merken, wenn sie beim Vorbeigehen über die Leiche stolpern.
Die Bedienung, eine schlechtgelaunte Frau mittleren Alters, kam und kassierte. Ingomar verließ das Restaurant, umhüllt vom Mantel seines Missvergnügens, der ihm vertraut war wie eine zweite Haut. Später sollte er sich an diesen Moment erinnern, als er das Lokal verlassen hatte, auf die Straße getreten war in eine Luft hinein, die unter den Abgasen mit erstaunlicher Deutlichkeit den Duft des Herbstes schmecken ließ, etwas Kühles, Harziges bis in die Nebenhöhlen hinein und in die Kehle und in jede Pore. An dieses Aroma erinnerte er sich dann. Und begriff, dass es ein Zeichen gewesen war. Für den ersten Tag seines neuen Lebens, das mit dieser Begegnung begonnen hatte. Mit dem seltsamen, von schweren Sorgen geprüftenLeiter der Abwasserreinigungsanlage der Stadt Dornbirn, dem Diplomingenieur Anton Galba.
*
Sie trafen sich an einem kleinen See im Dornbirner Ried, dort gab es eine Jausenstation, die schon geschlossen war. Davor ein paar Tische und Bänke. Es war kühl geworden, an Baden nicht mehr zu denken. Schwäne und Enten schwammen in der Nähe auf dem schwarzen Wasser umher und hofften auf Brotstückchen. Die beiden hatten keinen Blick dafür, die armen Vögel warteten vergebens. Außer ihm und ihr war niemand da.
»Das Geld«, sagte sie, »da muss eine Menge Geld da sein, das dürfen wir nicht vergessen.«
»Wie meinst du das?« Er wusste genau, wie sie das meinte, hoffte aber, durch Blödstellen dem Gespräch eine andere Richtung geben zu können, das war unwahrscheinlich, er wünschte sich nur so sehr, es würde in eine andere Richtung laufen als die absehbare. Das Gespräch.
»Das Geld muss der Gesellschaft zurückgegeben werden«, beharrte sie. »Auch die Ordnung der Feme verlangt das.«
»Das kannst du doch nicht vergleichen! Soweit ich mich erinnere, heißt es dort, sein Besitz geht an seine Erben, seine Lehen an den König. Keine Rede von Gesellschaft!«
»Der Körper des Königs ist die Gesellschaft!«
»Aber das Geld, das sind doch alles Einnahmen aus Drogengeschäften – was hat das mit Lehen zu tun?«
»Das muss man eben etwas freier interpretieren. Er hat diese Gelder der Gesellschaft entnommen und gleichzeitig schwere Schäden am … Wie sagt man …«
»… am Volkskörper«, seufzte er.
»… genau! Schäden am Volkskörper angerichtet, also am Körper des Königs. Das ist Verräterei , ein femewrogiges Verbrechen …«
»… Und wir nehmen das Geld und …«
»… geben es dem König zurück! Wir lassen es einer Drogenstation zukommen. Es müssen ungeheure Summen sein!« Sie fiel in Begeisterung. »Stell dir vor, was wir mit dem alles für tolle Sachen anstellen können! Was heißt: eine Drogenstation? Die können glatt eine neue einrichten, was sag ich, sogar zwei – und jeden therapieren, der es nötig hat!« Sie klatschte in die Hände.
Er sah sie lange an. »Du bist ein guter Mensch, weißt du das?«
»Keine Ahnung.«
»Doch, das bist du. Aber du übersiehst in deinem Eifer, etwas Gutes zu tun, einige grundlegende … Umstände. Herr Mugler wird uns das Geld nicht so ohne weiteres herausrücken.«
Darauf sagte sie zuerst nichts, als er nach einer Weile erwartete, sie würde antworten, sagte sie immer noch nichts, und noch eine kleine Weile später wurde das Schweigen lastend. Das ärgerte ihn. Er sagte: »Wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa …?«
»Ja«, sagte sie. Sonst nichts.
»Es verstößt gegen alle möglichen …«
»Ach, hör doch auf! Wogegen verstößt denn das, was der Herr Mugler alles gemacht hat? Du bist der Polizist, du kennst die Paragraphen – aber darum handelt es sich nicht … um Paragraphen, meine ich. Über das Stadium der Paragraphen sind wir hinaus, meinst du nicht?«
»Ja«, sagte er, »das haben wir hinter uns gelassen. Es ist nur so … unangenehm …«
»Psychisch belastend?«
»Das kannst du laut sagen.«
»Woher weißt du das? Beruht es auf persönlicher Erfahrung, ich meine, hast du schon einmal …«
»Wo denkst du hin! Natürlich nicht. Ich stell es mir nur so vor, ich kenne einen Arzt, der war mit so einer Hilfsorganisation in Exjugoslawien, der hat da Sachen gesehen …«
»Ich will davon nichts hören, gar nichts, keinen Ton!«
»Du machst es dir einfach …«
»Wer von uns zweien ist der Mann?«
»Ach, das heißt wohl, der Mann ist dafür zuständig, wenn …«
»Allerdings! Meine
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