Alles Fleisch ist Gras
Aufgabe ist dann die Computerei – dass wir das alles ohne Spuren und sauber von einem Konto aufs andere bringen. Dazu brauch ich Zahlen und Namen. Die besorgst du.«
»So, so, tu ich das …« Er lachte. Es klang unfroh. »Hast du schon daran gedacht, was mit Muglers Geschäft passiert, wenn er weg ist? Es gibt bei diesen Dingen kein Vakuum …«
»Ja. Seine Unterläufel werden versuchen, seine Stelle einzunehmen …«
»… und sich gegenseitig bekriegen. Das bedeutet, es kommt zu unschönen Zwischenfällen in der Öffentlichkeit, zu Kollateralschäden …«
»Ja, ja, ja!« Sie war jetzt wütend. »Das hab ich mir schon alles überlegt. Stell dir vor! Ich denke so weit voraus. Tatsache! Und erzähl mir nicht, dir ist das erst in den letzten fünf Minuten eingefallen! Du kennst die doch alle. Die werden früher oder später … nun ja …«
»… denselben Weg gehen.«
Darauf sagte sie nichts mehr. Er starrte auf das stille Wasser hinaus, wo die Schwäne ihre Kreise zogen, und hätte jetzt gernein Bier getrunken. Aber die Trinkstube war zu. Zu jedem Baggersee, hatte er irgendwo gelesen, gehört eine Trinkstube und ein Wächter. Aber das hier war kein Baggersee, sondern ein Gewässer natürlichen Ursprungs. Und einen Wächter hatte es hier nie gegeben. Seine Miene verdüsterte sich. Sie merkte es, sagte aber nichts. Er dachte an die Dinge, die er tun würde. Er hatte sein ganzes Leben lang nicht an solche Dinge gedacht. Eine große, satte Trauer überkam ihn. Vielleicht war die Polizei doch keine so gute Berufswahl gewesen. Sie legte die Hand auf seinen Arm.
»Es geht auch vorbei«, sagte sie. »Und es muss sein, das weißt du. Wir sind nur zu zweit. Wir ziehen das durch. Danach wird alles besser.«
»Das hoffe ich.«
»Nein, mit Hoffnung hat es nichts zu tun. Du weißt es. Du weißt es genau. Es wird besser, viel besser. Und du wirst es erreichen.«
Ein leichter Wind hatte sich erhoben und kräuselte die Wasserfläche. Es wurde kühl. Er stand auf.
»Wann?«, fragte er.
»So bald wie möglich«, sagte sie.
Als sie gingen, begann es zu nieseln.
*
Konrad Mugler lebte allein in seinem Penthouse. Seine jeweiligen Begleiterinnen brachte er in einer Wohnung in der Nähe unter. Sie gaben vor, das auch zu verstehen, er hatte so viele Geschäfte, dass er Ruhe brauchte – Erholung, Entspannung. Das ging nur, wenn ihm viel Zeit zum Alleinsein blieb, wie er oft sagte.
Das war gelogen. Er brauchte nicht annähernd so vielRuhe, wie er vorgab, und seine Geschäfte waren auch nicht annähernd so anstrengend, wie er seine Umgebung glauben machen wollte. Er war nur gern allein. Er genoss den routinierten Sex, aber danach war er froh, wenn die Damen gingen. Konrad Mugler war kein familiärer Typ. Er genoss es, durch seine Zweihundertvierzig-Quadratmeter-Wohnung zu schlendern, von einem Raum in den anderen, durch die Fenster zu schauen, hinauszutreten auf die Hundertachtzig-Quadratmeter-Terrasse und auf die Straßen der Stadt hinunterzuschauen. Oft saß er stundenlang in einem Liegestuhl auf dieser Terrasse und tat – nichts.
Seine Kollegen und Geschäftspartner hatten für diesen Hang zur Einsiedelei kein Verständnis. In ihrem Weltbild war ein Leben auf großem Fuß mit der Art von Geschäften, die sie betrieben, untrennbar verbunden; sie waren gleichsam gezwungen, all die Nachtlokale aufzusuchen, die ihnen selber oder Freunden gehörten, und sich dort irgendwelchen Ausschweifungen hinzugeben, ab und zu wenigstens. Ein Leben, wie Mugler es führte, erschien ihnen als Marotte, als Abweichung, verstärkte aber nur die unheimliche Aura, die den Chef umgab. Zurückgezogenheit führte zu Gerüchten: Mugler verträgt keinen Alkohol, er wird von einem Glas betrunken und hat im Rausch schon zwei Menschen umgebracht. Oder: Mugler hat so entsetzlich perverse Neigungen, dass sogar die tolerante Szene nichts davon wissen darf und so weiter.
Die Art seiner Geschäfte brachte es allerdings mit sich, dass er auf persönlichen Schutz nicht ganz verzichten konnte. Also hatte er einen Sekretär , der eine Wohnung unter dem Penthouse bewohnte. Alle Anrufe gingen beim Sekretär ein, alle Kontaktversuche liefen über ihn. Er stammte aus Mercheuli, hieß Warlam Edmundowitsch Lemonow und hatte ein bewegtes Leben hinter sich, in dem er mit vielen Fertigkeitenvertraut geworden war, zum Beispiel mit Methoden, Menschen vom Leben zum Tode zu befördern. Oder mit der deutschen Sprache. Warlam war diskret und effektiv, Mugler durfte sich
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