Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Sprache, sie ist ihr Juwel der Identität. Manche sagen, dass die Isländer
zwar prima Geschichten erzählen können, aber nicht so gut zuhören, und dass sie die Erzählungen gelegentlich so verändern,
wie sie ihnen gerade passen, nach dem Motto: Lass die Wahrheit nie eine gute Geschichte ruinieren.
Hier ließe sich viel über die Ursachen der Finanzkrise spekulieren, doch das wird an anderer Stelle erörtert. Die Freude am
geschriebenen Wort machte die Isländer – gemessen an derEinwohnerzahl – zum Land mit den meisten Literaturnobelpreisträgern. Sie haben einen: Halldór Laxness.
Die Isländer verfassen gerne und viel. Sjón veröffentlichte seinen ersten Gedichtband ›Sýnir: yrkingar‹, als er gerade mal
15 Jahre alt war; das Geld für die Druckkosten verdiente er sich im Sommer durch Ferienjobs. Die stolze Auflage: 150 Exemplare. Er verkaufte sie an Freunde und die Familie, bot sie im Bus oder auf der Straße an. Heute ist sein Erstlingswerk
eine Menge wert. Zum dreißigjährigen Jubiläum als publizierender Dichter veröffentlichte er einen 400 Seiten starken Jubiläumsband. Das Buch kostet umgerechnet elf Euro.
Sjón wollte es so günstig wie möglich herausbringen, damit es sich alle leisten können – besonders die jungen Leser möchte
er so dazu ermutigen, sich mit Lyrik zu beschäftigen. Dass sie sehen: Das könnte ich ebenfalls machen!
Experimentierfreude als oberstes Gebot
Der Schriftsteller gibt Kurse für kreatives Schreiben und hat früher in vielen Performances mitgewirkt. Das größte Missverständnis
sei immer, dass alle glauben, man müsse etwas erfinden. Als erste Übung könne man einfach seine Träume aufschreiben oder sonst
wie darstellen, sagt er. Der Profi mag erfolgreicher und talentierter sein als viele seiner Landsleute, doch an der Entschlossenheit,
ihre Kreativität auszuleben, mangelt es auch ihnen nicht. Kaum ein Isländer rechnet damit, wirklich von seiner Kunst leben
zu können. Bei Produktionen mit einer Auflage von 300 Platten oder 500 Büchern steht die Leidenschaft im Vordergrund. Der Vorteil: Wer sich nach keinem Markt richten muss, ist experimentierfreudiger
– nur so lässt sich zum Beispiel in der Musikbranche die breitgefächerteSzene von Klassik bis hin zu Death-Metal erklären. Sjón findet es egal, ob das Ergebnis wirklich gut ist oder was die anderen
davon halten, Hauptsache, es hat einem selbst Spaß gemacht. Das ist für den Familienvater bis heute sein größter Antrieb.
Er weigert sich, seine Lyrik und Belletristik als Job zu sehen, und scheut sich nicht davor, neue Dinge auszuprobieren, die
sein Publikum oft genug überfordern. So schrieb der preisgekrönte Autor das Drehbuch für Islands ersten Horrorsplatterfilm
›Reykjavík: Whale Watching Massacre‹, der Ende 2009 in die Kinos kam und in dem Helgi Björnsson (Holy B. aus den Westfjorden)
einen Seemann spielte, der mit riesigen Harpunen Touristen abschlachtet. Der Film ist eine Persiflage auf das Genre, doch
viele der Zuschauer dachten, es sei ein ernstgemeinter Horrorfilm, was Sjón wiederum absurd findet. Ebenso wie die Tatsache,
dass an einem Pier des Reykjavíker Hafens das Walegucken angeboten wird und genau gegenüber die Walfangboote liegen. »Wir
Isländer wollen eben alles zur gleichen Zeit.«
Der Autor stellt die Isländer in seinem Film als brutale, blutrünstige Jäger vor und macht sich gleichzeitig über die Touristen
lustig, die in Island nach Björk und Walen Ausschau halten. Der Film ist für unsere Maßstäbe unterhaltsam, die isländischen
Kritiker fanden das allerdings gar nicht und nominierten ihn als einen der schlechtesten Filme aller Zeiten. Sjón freut sich
sogar ein bisschen darüber: »Endlich bin ich wieder frei.« Zu sehr sei er gelobt worden für seine Arbeiten, sagt der ehemalige
Punk.
Immerhin wurde er überhaupt kritisiert, denn eine lange Tradition schonungsloser Kritiken gibt es in Island nicht. Häufig
wird über die Ausstellung eines Laien in gleichem Umfang berichtet wie über die Arbeiten eines professionellen Künstlers.
Selbst wenn ein Film mies ist, bekommt er in der Bewertung noch drei von fünf Sternen. (In einer kleinen Gesellschaft sind
eben auch die Redakteure mit den Musikern, Künstlern oder Schauspielernbefreundet beziehungsweise verwandt.) Schreibt ein Kritiker, dass ein neues Album Mist ist, kann es durchaus passieren, dass
er am nächsten Abend in der Bar von einem der
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