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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Arm in die Luft und verrenkte sich so, dass man nach Westen ausgerichtet war.
    Er hatte ihre Stimme, ihr Lachen, undefinierbare Hintergrundgeräusche und Piña Colada gehört.
    Sie fragte ihn, wann er nachkäme, hörte sich das Gestammel ihres Stiefvaters am anderen Ende der Leitung aber nicht bis zu Ende an. Jemand wartete auf sie.
    Sie schickte ihm Küsschen und fragte dann noch: »Soll ich dir Mama geben?«
    Charles senkte den Arm.
     
    »Nur Notrufe«, blinkte es im Display.
    Was weigerte sie sich zu begreifen, dieses Kind geschiedener Eltern?
    Dass er sich für den Sommer eine Junggesellenwohnung genommen hatte?
     
    An dem Abend trank er wenig und suchte seine Mansarde weit vor der Sperrstunde auf.
    Schrieb ihr einen langen Brief.
    Mathilde, die Lieder,
    die du den lieben langen Tag hörst ...
     
    Er suchte einen zweiten Briefumschlag.
    Keine Hoffnung auf einen Gewinn. Er hatte nichts Originelles erfunden, und zum ersten Mal in seinem Leben war er nicht in der Lage gewesen, einen präzisen Plan zu erstellen.

 
     
     
     
     
    Fessel, Fase, Wams, Gauch, Feme, Sprengel, Schrunde, Charles kannte keinen dieser Begriffe, und doch sind diese Skizzen vielleicht die schönsten im ganzen Buch.
     
    Kate hatte mit den Touristen einen Ausflug unternommen, und er hatte den ganzen Morgen gearbeitet.
    Aß zu Mittag, wie man es ihm beigebracht hatte, ein paar lauwarme Tomaten, die er im Gemüsegarten stibitzt hatte, und ein Stück Käse, dann war er mit diesem Buch, das sie ihm geliehen hatte, am Waldrand entlanggelaufen: »Ein wunderbares Lehrbuch über die Architektur.«
    Das Leben der Bienen von Maurice Maeterlinck.
     
    Er suchte sich einen schönen Aussichtspunkt, um seine Schwermut zu vertreiben.
    Tatsächlich grübelte er jede Nacht noch ein bisschen länger, setzte bei seinen Berechnungen zehnmal wieder neu an und scheiterte an den Schrägen von 4%.
     
    Er war ein Mann im Familienkreis ohne Familie. Siebenundvierzig und vermochte sich in der Kurve nicht mehr so richtig einzuordnen.
    Hatte er die Hälfte des Weges schon geschafft?
    Nein.
    Doch?
    Mein Gott ...
    Und jetzt? War er nicht sogar dabei, das bisschen Zeit zu verlieren, das ihm noch blieb?
    Sollte er weggehen?
    Wohin?
    In eine leere Wohnung mit einem zugemauerten Kamin?
    Wie war das möglich? Dass er so viel gearbeitet hatte, um in seinem Alter so hilflos dazustehen?
    Die andere Tussi hatte recht gehabt.
    Wie eine Ratte war er ihr bis zum Fluss gefolgt.
    Und jetzt?
    Das Seil!
     
    Und wenn sie sich nachts Herrn Barbie hingab, während er seine mickrigen Siedlungen baute?
    Und der Juckreiz im Schritt.
    (Herbstmilben.)
     
    Er lehnte im Schatten eines Baumes.
    Erster Satz:
    »Es ist kein Buch über Bienenzucht, kein Handbuch für Bienenzüchter, was ich hier schreiben will.«
    Wider Erwarten verschlang er das Buch. Es war DER Krimi des Sommers. Alle Zutaten waren darin versammelt: das Leben, der Tod, die Notwendigkeit zu leben, die Notwendigkeit zu sterben, die Pflicht zur Treue, Gemetzel, Wahnsinn, Opfer, Stadtgründung, die jungen Königinnen, der Hochzeitsflug, die Drohnenschlacht und ihr Geschick als Baumeisterinnen. Die außergewöhnliche sechseckige Zelle »erreicht freilich die absolute Vollkommenheit in jeder Hinsicht, und alle Genies zusammen könnten nichts mehr daran verbessern«.
     
    Er nickte. Suchte mit Blicken nach Renés drei Bienenstöcken und las einen der letzten Absätze:
     
    »Und ebenso wie es auf der Zunge, dem Munde und dem Magen der Bienen geschrieben steht, dass sie Honig hervorbringen müssen, ebenso steht es in unseren Augen, unseren Ohren, unserem Mark und allen Fibern unseres Kopfes, im ganzen Nervensystem unseres Körpers geschrieben, dass wir dazu geschaffen sind, alles Irdische, was wir in uns aufnehmen, in eine besondere Kraft von einer auf diesem Erdball einzigen Art umzusetzen. Kein uns bekanntes Wesen ist so wie wir befähigt, jenes seltsame Fluidum hervorzubringen, das wir Denken, Verstand, Intelligenz, Vernunft, Seele, Geist, Zerebralvermögen, Tugend, Güte, Gerechtigkeit, Wissen nennen, denn es besitzt tausend Namen, obwohl es immer dasselbe ist. Alles in uns ist ihm geopfert worden. Unsere Muskeln, unsere Gesundheit, die Beweglichkeit unserer Gliedmaßen, das Gleichgewicht unserer animalischen Funktionen, die Ruhe unseres Lebens – alle tragen mehr und mehr die Last seines Übergewichtes. Es ist der kostbarste und schwierigste Zustand, zu dem man die Materie erheben kann. Feuer, Licht, Wärme, das Leben selbst,

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