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Alles Gold der Erde

Titel: Alles Gold der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bristow Gwen
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Tischen spielte man mit hohen Einsätzen. Die Karten waren ihr heute besonders gnädig gesonnen. Sie fühlte sich sehr zufrieden. Um zehn Uhr überließ sie ihren Tisch dem Mann aus Harvard. In der Küche stand ein Topf mit Schokolade auf dem Herd. Marny schenkte sich eine Tasse ein und nahm sie mit hinauf in ihr Zimmer.
    Sie zündete die Walfischtranlampe an, entledigte sich des schweren Nuggethalsbandes, steckte es in die Tasche, und nippte an der Schokolade. Anscheinend war sie von Lulu oder Lolo gekocht worden. Marny schmeckte stets, ob Kendra sie gemacht hatte oder nicht. Beim Trinken dachte sie darüber nach, daß Kendra ihr fehlen würde.
    Nicht etwa, daß sie Kendra ihr Glück mißgönnte. Kendra hatte genug Schweres hinter sich und es mutig erduldet. Sie verdiente es, jetzt glücklich zu sein.
    Aber ich, dachte Marny, als sie ihre leere Tasse abstellte, ich wünsche mir, daß Lulu und Lolo endlich so gut kochen können wie Kendra.
    Geraldine war inzwischen ins Zimmer spaziert. Jetzt sprang sie auf den Tisch und kuschelte sich zu ihren Jungen in der kleinen Hütte. Marny beugte sich über sie. Dabei spürte sie das Gewicht ihrer Pistole im Gürtel. Sie hätte die Waffe auch ablegen sollen. Nun wünschte sie den Kätzchen eine gute Nacht und wollte weggehen.
    »Halt!« befahl eine Stimme.
    Unter der Tür stand Captain Pollock. Er hielt eine Pistole in der Hand, und die Pistole war auf Marny gerichtet.
    Fast instinktiv griff sie an ihren Gürtel. Doch sofort bellte Pollock:
    »Halt!«
    Marny verhielt sich still.
    »Strecken Sie die Hände aus!« kommandierte Pollock.
    Marny gehorchte.
    »Keine Bewegung! Schreien Sie nicht!«
    Marny bewegte sich nicht, und sie schrie auch nicht. Sie war wie benommen. Sie empfand nichts als blankes Entsetzen.
    Die beiden standen einander gegenüber. Marny spreizte die Arme, als trüge sie ein unsichtbares Tablett. Pollock rührte sich nicht. Seine Pistole zeigte noch immer auf sie.
    Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, konnte Marny wieder klar denken. Sie nahm jede Kleinigkeit wahr, und zwar mit einer Schärfe, die sie selten zuvor an sich erlebt hatte. Sie sah das Licht der Lampe, das durch die Tür zum Boudoir hinter ihr in den Raum fiel. Sie sah das Licht der kleineren Lampe vor Pollock, das seine Züge deutlich erkennen ließ. Sie sah seinen guten Anzug und seine sauberen Stiefel. Sie sah vor allem seine feste Hand mit der Pistole. Diese Pistole war ein Armeecolt. Marny hatte Waffen von solchem Kaliber schon oft gesehen, denn sie wurden in San Francisco bevorzugt. Mit dieser Pistole konnte er sie in einer Sekunde ins Jenseits befördern.
    Sie hörte die Geräusche des Calico-Palastes: die Musik, die Stimmen, die Schritte, das öffnen und Schließen von Türen, den gedämpften Lärm der Plaza und der umliegenden Straßen. Diese Geräusche schienen sie wie ein Wall zu umgeben. In der Stille, die von diesem Wall eingeschlossen war, befanden sich bloß sie und Pollock.
    Marny hatte stets geglaubt, sie werde gut bewacht. Pollock war indessen ein kluger und verschlagener Mensch. Kein Zweifel, er mußte schon früher hier oben in der vierten Etage gewesen sein, vielleicht mehr als einmal. Er hatte den Spielsalon wohl verlassen, als wolle er aufbrechen, und Mittel und Wege gefunden, den Wächtern zu entgehen. Dann war er die Treppe hinaufgeschlichen. Pollock hatte etwas vor. Und er hatte sich freie Bahn geschaffen.
    Und sie hatte angenommen – alle hatten sie angenommen –, er komme nur deshalb in den Calico-Palast, um Hortensias Musik zu lauschen! Natürlich – genau dies wollte er sie glauben machen.
    Was wollte er jetzt? Sie war allein mit ihm, und er hatte eine Pistole bei sich. Er starrte sie an, und sie sah den Haß in seinen Augen.
    Seine Augen waren weit geöffnet, so weit, daß sie das Weiße darin erblickte und die blaue Iris. Mit wachsendem Schrecken begriff Marny, daß Pollock nicht bei Sinnen war.
    »Sie sind ein hübsches Frauenzimmer«, sprach er wütend. »Jetzt werden Sie mir für das zahlen, was Sie mir genommen haben.«
    Marny wußte, daß es sinnlos war, darauf etwas zu antworten. Pollock fuhr zornig fort:
    »Sie haben mir alles Gute genommen, das ich jemals besaß. Sie haben mein Schiff ruiniert. Sie haben meine Zukunft vernichtet. Seit Sie sich auf der Cynthia eingenistet haben, hatte ich nur noch Unglück.«
    »Glauben Sie denn im Ernst, ich könnte hexen?« rief sie.
    Er tat, als habe er sie nicht gehört. Wahrscheinlich hatte er ihren

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