Alles Gold Der Erde
Geschäftsleuten befanden sich einige geschickte Amateure.
Der Abend war mild. Mr. Chase und Frau wohnten in Kendras Nähe. Als sie zu dritt aufbrachen, ging die Sonne unter, und Watson meinte, der Mond werde bei ihrem Heimweg scheinen. Der Salon war erfüllt vom Glanz der Kerzen und vom Feuer des Kamins. Mr. Chase eilte herbei, um ihnen die Mäntel abzunehmen, und lud sie ein, sich mit Schokolade oder Wein aufzuwärmen.
Außer Mr. Fenway war ein halbes Dutzend fremder Kaufleute zugegen. Zwei dieser Herren waren verheiratet und hatten ihre Frauen mitgebracht. Dann gab es noch ein etwa achtzehnjähriges Mädchen, die Tochter des einen Ehepaars. Sie hieß Ada Lansing und wurde von einem der Junggesellen eskortiert, der vor Stolz auf diese Gunst geradezu strahlte. Da Kendra als einzige verheiratete Frau ohne Mann gekommen war, wurde sie von den Junggesellen umschwärmt. Einer rückte den Stuhl für sie ans Feuer, ein zweiter beschaffte eine Fußbank, ein dritter versah sie mit einem Kissen. Alle Welt war ihr gefällig.
Mrs. Chase war es bisher nicht gelungen, ihren Herzenswunsch zu erfüllen, nämlich ein Klavier zu kaufen; sie kamen aber auch so ganz gut zurecht. Die vier Ledigen spielten Gitarre und sangen im Quartett. Sie hatten sich zu ihrem Privatvergnügen zusammengetan. Da sie begabt waren, konnten sie sich durchaus hören lassen. Nach mehreren Liedern gönnten sie sich eine Verschnaufpause, und nun spielte einer der Verheirateten, ein Mr. Dean, auf seiner Geige. Mit Klavierbegleitung hätte sein Vortrag wohl noch besser geklungen. Immerhin war auch er talentiert und verdiente den Beifall, der ihm gezollt wurde. Dann erfreute diese junge Dame Ada Lansing das Auditorium: Sie sang, assistiert von einem der Gitarrenspieler.
Ada Lansing konnte nicht singen, und ihr Lied, das sich in schrillen Tönen mit dem Mondlicht und dem Tau der Nacht befaßte, war der Beachtung überhaupt nicht wert. Aber sie war jung und hübsch; also lauschten die Herren mit verzückten Blicken. Alle lauschten. Nur Mr. Fenway nicht. Kendra, die neben ihm saß, bemerkte, wie er sich vor Qual krümmte. Ein wenig später, als Ada wonnevoll tirilierte, knurrte Mr. Fenway aus einem Mundwinkel:
»Jetzt singt sie schon zum drittenmal viel zu tief! So schön ist sie wiederum auch nicht!«
Kendra biß auf ihr Taschentuch. Zum Glück war das Gewimmere bald zu Ende. Pflichtschuldig applaudierte sie und vermied dabei den Blick ihres Nachbarn.
Nach einer weiteren Gitarreneinlage kündigte Mr. Chase an: »Sie werden nun ein Lied von Mrs. Dean hören.« Kendra schauderte es bei den Aussichten, die sich jetzt wohl eröffneten, und vor den Bemerkungen, die Mr. Fenway diesmal von sich geben würde. Mrs. Dean hatte kein so hübsches Lärvchen wie Ada; aber sie besaß eine schöne Stimme, von der sie auch Gebrauch zu machen verstand. Sie brillierte mit einer Ballade, und jetzt war der Applaus ehrlich. Die Gesellschaft bat um eine Zugabe. Mrs. Dean sang abermals – schlicht und schön.
Kendra konnte nicht singen (und anders als Ada Lansing wußte sie das), aber sie schätzte Musik. Mr. Chase hatte erzählt, bald seien Klaviere zu erwarten. Kendra hoffte eins zu erhalten. Sie und Loren würden beide daran ihre Freude haben, denn auch er liebte Musik. Überhaupt kam sie allmählich dahinter, daß sie vieles gemeinsam hatten. O ja, sie war eine glückliche Frau; sie mußte dem Himmel danken für Lorens Zärtlichkeit … und nicht wie eine Närrin von Flittertand träumen.
Die Gitarrenspieler setzten zu einem neuen Lied an. Kendra wurde starr. Ein Schauer lief über ihre Haut. Ihre Hände wurden feucht. Ihre Lippen preßten sich aufeinander. Die Männer spielten die fröhlich schwungvolle Melodie von ›Die Liebe ist eine Libelle‹.
Jener Tanz im Comet House … Die qualmenden Lampen, die grelle Tapete, die Musik der Militärkapelle … Teds Arm, der sie umfing. Sein Geflüster an ihrem Ohr: »Wie schön Sie doch sind … Jede Frau ist so schön, wie ein Mann sie sieht …«
Großer Gott, wenn sie doch aufhören wollten! Wenn sie nur etwas anderes spielen wollten! Warum schmerzt die Liebe so sehr? Warum schwindet sie nicht endlich …?
Kendra verkrampfte ihre Hände im Schoß. Sie dankte dem Himmel, daß niemand sie beachtete. Alle schauten die Sänger an und hämmerten im Takt mit ihren Füßen auf den Boden.
Endlich gingen die Musikanten zu einem andern Lied über. Kendra hatte keine Ahnung, welche Melodie sie spielten, welche Worte sie sangen.
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