Alles Gold Der Erde
erzählt, daß diese Waffe das Geschenk eines Mannes sei, der einen Spielsalon in New York betrieben hatte. Ein Franzose aus New Orleans, ein gewisser Norman Lamont, der wieder zurück nach dort gegangen war, weil er seine Heimatstadt für die beste Spielhölle des ganzen Landes hielt. Und dann hatte Marny hinzugefügt:
»Zwischen mir und Norman hat es nie etwas gegeben. Er hatte immer ein Mädchen an der Hand. Aber ich habe ihn bewundert. Er besaß echtes Talent.«
Jetzt, da Loren und Archwood sie verwirrt anschauten, erklärte Kendra:
»Ich glaube, ich weiß, wer Marnys Freund ist. Ein großartiger Spieler nämlich. Marny hat mir von ihm erzählt.«
»Möglich«, versetzte Archwood. Kendra bemerkte erfreut, daß er wieder in seinem leicht amüsierten Ton sprach. Er griff wieder nach seinem Glas und richtete es auf Marny. Zusammen mit Norman und seinem Mädchen kam Marny den Berg heraufgeklettert. Sie hatte dem Mädchen die Tasche abgenommen und hob jetzt die freie Hand, um Kendra, Loren und Archwood zuzuwinken. Kendra und Loren taten es ihr nach. Archwood wartete vorerst einmal ab, um sich Marnys Geschichte anzuhören.
Er brauchte nicht lange zu warten. Marny hetzte außer Atem heran. Sie ließ die Tasche fallen und griff nach Archwoods Arm.
»Warren, unser Glück ist gemacht! Das hier ist Norman Lamont, der raffinierteste Spieler, der jemals eine Karte in die Hand genommen hat!«
Sie redete mit einem solch harmlosen Überschwang, daß es nun auch Archwood klar wurde: Dieser Lamont war kein Rivale. Also streckte Archwood ihm die Rechte entgegen.
»Wie geht's? Mein Name ist Warren Archwood.«
Norman lächelte. Während Kendra ihn beobachtete, fiel ihr das auf ihn zutreffende Wort ein. Es hieß: scharf. Normans Blick auf seine neuen Bekannten – und vermutlich auf jeden neuen Bekannten – glich einer Taxierung. Er schien sich zu fragen: Was bringt dieser Mensch mir ein? Doch dann lächelte er, und die gute Laune sah ihm dabei aus den Augen.
Scharf, überlegte Kendra. Vielleicht allzu scharf. Aber ich merke, daß Marny ihn gern hat. Also habe auch ich ihn gern.
Norman wandte sich an Archwood:
»Marny hat mir von dem Spielzelt berichtet. Das hört sich ja recht interessant an.«
Er hatte einen leichten französischen Akzent. Allerdings war es nicht der Akzent eines Menschen, der erst kürzlich Englisch gelernt hat; Kendra vermutete, daß er mit beiden Sprachen groß geworden war. Marny hatte sich mittlerweile des Mädchens angenommen. Sie erzählte ihnen nun, dies sei Normans Freundin Rosabel (ob sie seine Frau war, sagte sie nicht; das hatten sie auch gar nicht erwartet). »Rosabel kann Klavier spielen«, erklärte sie. Marny war Rosabel zuvor noch nie begegnet.
Rosabel war brünett und hatte eine wohlgeformte Nase und ein schönes Kinn; ihre Augenbrauen waren so dicht und seidig, daß sie schwarzen Samtstreifen ähnelten. Ihr Gesicht war staubig. Genauso staubig war auch ihr Kleid und ihr zerfetztes Kopftuch. Immerhin sah Kendra nun, daß Rosabel eine hübsche Person war. Obendrein schien sie nicht dumm zu sein.
Sie wird sogar schlau sein, dachte Kendra. Wenn sie nämlich dumm wäre, hätte Norman sie nicht bei sich.
»Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ganz gewiß wird es sich lohnen.«
Sie hatte keinen französischen Akzent, ihre Sprache verriet kein typisches Merkmal. Sie benahm sich freundlich. Ein munteres Selbstvertrauen schien ihr eigen zu sein. Kein Zweifel, daß ihre Schulbildung nicht allzu umfassend gewesen war. Aber sie hatte sich selber allerhand beigebracht, und sie wußte daraus den besten Nutzen zu ziehen.
Norman und Rosabel unterhielten sich mit Archwood. Loren sprach leise mit Kendra. Sie hatte Marny und Archwood zum Mittagessen eingeladen. War genug vorhanden, daß es für alle reichte? Nun, Kendra war genauso begierig wie ihr Mann, den Erzählungen der Fremden zu lauschen, so lud sie beide zum Essen ein. Sie nahmen begeistert an. Marny erklärte: »Heute können die Schwarzbärte einmal den Calico-Palast ohne mich aufmachen. Wir kommen allesamt zum Mittagessen, sobald Norman und Rosabel sich bei mir gewaschen haben.«
Als sie erschienen, steckten die Neuankömmlinge in geborgten Kleidern. Archwoods Jacke war zu groß für Norman, und Marnys Kleid war zu lang für Rosabel. »Das stört uns nicht«, sagten sie, »wir sind glücklich, daß wir endlich in San Francisco sind, und zwar lebend. Während unserer Reise haben wir manchmal daran gezweifelt, ob wir es schaffen werden.«
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