Alles Gold Der Erde
des Calico-Palastes nicht zu Gesicht. Um an den Festlichkeiten in den oberen Etagen teilnehmen zu können, mußte ein Mann viel Goldstaub besitzen – und bereit sein, sich von seinem Besitz zu trennen. Marny nannte diese Räumlichkeiten ›Himmelssalon‹ und erklärte: »Nur die alleraristokratischsten Sünder kommen hier rein.«
Der Hauptsalon war etwa halb so groß wie der Ausschank. Die übrigen kleinen Zimmer wurden für Privatspiele vermietet. Im Hauptsalon war – wie im Ausschank – eine Bar; ferner gab es Spiegel, Kartentische und Frauenporträts. Die Bar hier oben war jedoch gepflegter, die Barkeeper hatten bessere Manieren, und die Getränke kosteten mehr. Es ging in diesem Raum ruhiger zu, und die Einsätze waren im allgemeinen höher. Hier fand ein Gast auch endlich Gelegenheit, Frauen aus Fleisch und Blut zu begegnen: Marny an ihrem Spieltisch, Rosabel an ihrem Klavier, Lulu oder Lolo hinter der Bar.
Im Ausschank ließen sich die Frauen nicht blicken. Sie waren einfach zu wertvoll, als daß man sie dort gewissermaßen verschwendete. Die Alta hatte gemeldet, im August hätten achtundsiebzig Frauen und fast viertausend Männer das Golden Gate passiert. Demnach sei es also ganz logisch, so behauptete Norman, daß Männer, die eine Frau sehen wollten, dafür berappen mußten (Vor allem dann, wenn es sich um hübsche Frauen handelte).
Und sie berappten gern. »Manche stellen sich einfach mit ihrem Drink an die Bar und starren uns an«, erzählte Marny ihrer Freundin Kendra. »Sie spielen nicht, sie unterhalten sich nicht. Sie starren uns an, bis sie so viele Drinks in sich haben, daß sie uns doppelt sehen. Wahrscheinlich glauben sie dann, sie hätten für ihr Geld das Doppelte zu sehen bekommen.«
»Wird denn keiner handgreiflich?« erkundigte sich Kendra.
»O doch, aber wir haben immer einen Wächter parat, und wer seine Finger nicht bei sich behalten kann, muß bald erfahren, daß die Tätschelei bei uns nicht geduldet wird. Im allgemeinen aber benehmen sich die Leute sehr respektvoll. Viele fragen, ob wir sie nicht heiraten wollen. Ein paar wiederholen diese Frage bei jedem Besuch. Die armen Kerle, sie fühlen sich so verloren ohne Frauen. Sie tun mir wirklich leid. Aber sie tun mir natürlich nicht so leid, daß ich bereit wäre, einen von ihnen zu heiraten. Unser Laden blüht. Und, meine Liebe, wir haben die beste Kundschaft. Dwight Carson kommt oft und alle reichen Geschäftsleute. Auch Mr. Chase war schon zweimal da. Was sagst du dazu, daß sogar Mr. Fenway zu unseren Kunden zählt?«
Kendra war in der Tat überrascht.
»Mr. Fenway liebt Musik«, erklärte Marny. »Wenn Rosabel spielt, trägt er seinen Stuhl zum Klavier, um ihren Vortrag richtig genießen zu können. Wenn er der Musik lauscht, macht er ein heiteres Gesicht, was bei ihm doch wirklich ungewöhnlich ist.«
»Spielt er denn niemals?«
»Manchmal Roulette. Trinken tut er nicht viel. Einige unserer Stammkunden trinken überhaupt nicht viel.«
Marny schätzte diese soliden Bürger von der Art des Mr. Fenway. Sie gaben ihrem Salon ›Stil‹, wie sie sich ausdrückte. »Eines Abends«, erzählte sie, »hat Norman den Barkeeper angewiesen, ihn gratis zu bedienen. Mr. Fenway hat diese Vergünstigung aber abgelehnt. Als Mann mit Selbstachtung ziehe er es vor, zu zahlen, hat er gesagt. Der Barkeeper hat eingeschenkt, und Mr. Fenway hat feierlich seine Rechnung mit den Worten ›Ich danke Ihnen, Steward‹ beglichen.«
In San Francisco wurden nämlich Barkeeper, Kellner und Portiers stets mit ›Steward‹ tituliert. Sie zogen diese Bezeichnung vor. Wer das Glück hatte, überhaupt einen dienstbaren Geist aufzutreiben, behandelte ihn auch mit Respekt. Außerdem war es durchaus möglich, daß dieser Dienstmann in der Heimat Rechtsanwalt oder Architekt gewesen war. San Francisco beherbergte viele gebildete Leute. Kalifornien lag fern der zivilisierten Welt. Sowohl die Reise über Land als auch der Seeweg waren teuer. Ein Bankier konnte das erforderliche Geld natürlich eher aufbringen als ein Kanalarbeiter. Einmal im Lande, gingen die an harte Arbeit gewöhnten Männer sogleich in die Goldfelder. Gebildete aber kehrten bald mit Wunden und Blasen in die Stadt zurück, um auf weniger schmerzhafte Weise zu Geld zu kommen. Sie kutschierten Maultiergespanne oder mixten Cocktails und besaßen bald mehr Geld, als sie je daheim an ihrem Schreibtisch verdient hätten. Buchläden machten gute Geschäfte. Die Hälfte der im Calico-Palast
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