Alles Gold Der Erde
Staubwolken durch die Gegend. Ging man ins Freie, dann flog einem der Staub in die Augen, drang in Nase und Kehle; der Staub würgte einen im Hals, und jedermann liefen Tränen über die Wangen. Der Staub legte sich wie Spinnweben ins Haar. Er drang durch die Kleider und kitzelte die Haut.
Die Männer trugen die Bergkuppen ab und hatten bald eine Lagune aufgefüllt. Als nächstes verlängerten sie das Land ein Stück ins Meer hinaus. So entstanden Grundstücke, wo bisher Wasser gewesen war. Carson hatte einige dieser ›Wasserparzellen‹, wie man sie nannte, gekauft. Marny versicherte Kendra, es werde nicht mehr lange dauern, bis Carson ›wirklich reich‹ sei. »Irgendein raffiniertes Luder heiratet ihn dann und braucht für den Rest des Lebens nichts anderes mehr zu tun, als sein Geld zu verpulvern.«
Morgens, wenn der Staub noch nicht durch die Luft flog, fand Marny Muße, den Berg zu erklimmen und Kendra über die Vorgänge an der Plaza zu informieren. Überall in der Kearny Street, aber auch in den Querstraßen beiderseits der Plaza, wurden in atemberaubender Geschwindigkeit Häuser errichtet: Restaurants, Hotels, Spielsalons und – wie Marny sich ausdrückte – ›öffentliche Häuser‹. Eines dieser neuen Gebäude in der Washington Street werde von Normans und Rosabels Freundin Blossom bewohnt.
»Sie hat nun noch mehr Blüten in ihrem Blumengarten«, berichtete Marny. »Die meisten stammen aus New Orleans. Ich habe gehört, ihre Geschäfte gehen phantastisch gut.«
Kendra fand dies durchaus nicht überraschend. Der Hafenmeister führte sorgsam Buch über alle Passagiere, die in San Francisco an Land gingen. Seine Zahlen wurden einmal im Monat von der Alta veröffentlicht. Das Verhältnis blieb stets dasselbe: Auf eine Frau kamen siebenunddreißig Männer. Es schien, als sorge ein geheimnisvoller Unbekannter dafür, daß die Zahlen konstant blieben.
Marny kam gern herauf – nicht nur, um ihre Freundin Kendra zu besuchen. Sie gab offen zu, daß es ein Vergnügen sei, eine Stunde oder zwei in dieser komfortablen Umgebung zu verbringen. Kendra besaß alles, was man mit Goldstaub kaufen konnte.
Da Brennholz knapp, Holzkohle aus China jedoch im Überfluß vorhanden war, hatte Loren in allen Räumen Kohlenpfannen aufgestellt, um seine Frau vor den kalten Nebeln zu schützen. Er brachte ihr Bücher und Notenblätter aus der Buchhandlung, die kürzlich im City-Hotel eröffnet worden war, und Zeitungen, die Dampfer mitgebracht hatten. Im Spätsommer leistete er sich – in Gemeinschaft mit den übrigen Bewohnern der Washington Street – die beiden luxuriösesten Errungenschaften des Jahres: Sie ließen einen Bürgersteig aus Planken legen, der von der Kearny Street den Berg hinaufführte. Außerdem kauften sie einen Sprengwagen, der die Straße jeden Morgen besprühte, ehe der Wind den Staub aufwirbelte.
Marny erzählte Kendra, daß Blossom einen großzügigen Beitrag zu diesen städtischen Verbesserungen gezahlt habe. »Der Weg führt an ihrem Lokal vorbei«, erklärte Marny. »Das ist natürlich sehr gut für ihr Geschäft. Teuer, aber es wird sich lohnen.«
Kendra wußte, daß diese Arbeiten viel Geld gekostet hatten, wenngleich Loren ihr nicht sagen wollte, wie groß sein Anteil gewesen war. »Kümmere dich nicht darum«, wehrte er ab. »Ich bin schon in der Lage, für meine Familie zu sorgen.«
Wie immer sprach er dieses Wort voller Stolz aus. Er beugte sich über Kendra und küßte sie auf die Stirn.
Ganz plötzlich hatte Kendra das Empfinden, sie sei gefangen. Dieser Kuß bedeutete doch: ›Du bist mein liebster Schatz.‹ Und seine Hand auf ihrer Schulter sollte doch wohl sagen: ›Ich werde dich nie wieder von mir lassen.‹
Als Loren fort war, ging sie lange Zeit im Zimmer auf und ab und befragte sich selbst: Warum empfinde ich nur so? Habe ich nicht alles bekommen, was ich mir wünschen kann?
Doch, sagte sie sich, sie hatte alles. Sie war sehr gesund. Der Doktor meinte, er habe noch keine Frau gesehen, deren Schwangerschaft so unkompliziert gewesen sei. Ihr Kind würde schön und kräftig sein. Ihm würde sie die ganze Liebe schenken können, die ihr selber kein Mensch geschenkt, als sie ein Kind war, und nach der sie sich so gesehnt hatte.
Sie besaß ein Heim, das jede Frau bewunderte, die es betrat, und auch jeder Mann. Sie hatte einen Ehemann, der sie anbetete und der einer der geachtetsten Bürger der Stadt war. Was also konnte sie sich noch wünschen? Ich sollte mich schämen,
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