Alles Gold Der Erde
behielt noch immer seine beiden Zimmer im Gresham Hotel. Den größten Teil seiner freien Zeit verbrachte er jedoch im Calico-Palast, weil Marny hier unentbehrlich war.
Kendra war nun zwar nicht mehr von jenem Komfort umgeben, den sie in der Washington Street besessen hatte; sie fühlte sich jedoch frei, sie konnte sie selber sein. Wie verschüchtert war sie damals gewesen, als sie zum erstenmal Kuchen für Marnys Gäste buk! Sie dachte an die Einsamkeit und die Angst, die sie zu ihrer verfehlten Ehe veranlaßt hatten. Seit jener Zeit hatte sie eine Menge dazugelernt. Zwar wußte sie heute ebensowenig wie damals, was vor ihr lag; aber sie wußte, daß sie der Zukunft mit Gelassenheit entgegensehen konnte.
Immer noch flatterten ihr Heiratsanträge ins Haus. Die Männer schrieben ihr, wie viele Parzellen ihnen gehörten, wie viel Gold sie zusammengescharrt hatten. Manche schickten ihr Geschenke, um zu beweisen, daß sie in der Lage seien, für sie zu sorgen. Kendra zerriß die Briefe und ließ die Geschenke zurückgehen. Sie hatte kein Interesse an einer neuen Ehe. Das Haus, in dem sie gelebt hatte, war rasch gegen eine hohe Miete an zwei Familien vergeben worden, welche die Räume unter sich aufteilten und glücklich über so viel Platz waren. Kendra, die nun zwischen ihrer Küche und ihrem Schlafzimmer hauste, beneidete ihre Nachfolger nicht. Sie war zufrieden mit dem, was sie hatte.
In Marnys Spielsalon ging sie nur selten. Bald aber gehörte sie zum Calico-Palast, und das freute sie. Sie freute sich auch über die frohe Stimmung; sie freute sich, im Mittelpunkt der Ereignisse zu sein. In San Francisco wurden jetzt drei Zeitungen herausgegeben, und Kendra las sie alle. Oft aber erfuhr sie Neuigkeiten früher als die Redaktionen. Sie bekam sie von den Barkeepern, den Croupiers, den Spielern, von Marny, Norman und Dwight.
Es gab eine Menge Neuigkeiten. Jetzt, im Frühjahr 1850, war San Francisco eine große Stadt, die auch das Gehabe einer solchen hatte. Kendra und Marny fanden es phantastisch, daß diese geschäftige Metropole aus jenem verschlafenen Dorf entstanden war, das sie vor zwei Jahren verlassen hatten, um nach Shiny Gulch aufzubrechen.
Aus allen Ecken und Enden der Erde strömten die Menschen herbei. Fahrplanmäßige Flußdampfer beförderten die Leute von San Francisco nach den Goldlagern. Die Bürger der Stadt hatten so viele Hügelkuppen abgetragen und in die Bucht geschüttet, daß von jener kleinen mondförmigen Bai nichts mehr zu sehen war, die Kendra bei ihrer Ankunft vorgefunden hatte. Schiffe, die man an Land gesetzt hatte, um Geschäftsräume daraus zu machen, waren nun auf groteske Weise von Häusern umgeben. Doch weiter draußen ankerten noch immer zahlreiche Schiffe, deren Kapitäne hatten aufgeben müssen.
Zwar wußte niemand, wie viele Leute eigentlich in San Francisco lebten, jedermann aber konnte sehen, daß die Stadt nun wirklich groß geworden war. Wer einen Brief verschicken wollte, brauchte nicht mehr zur Posthalterei zu gehen; er konnte sein Schreiben kurzerhand in den nächsten Briefkasten an der Straßenecke werfen. Wer Frischmilch haben wollte, konnte sie an den Wagen kaufen, die täglich ihre Runde machten. Auf den Märkten gab es Fleisch in Fülle, das jeden Morgen von den Flußschiffen geliefert wurde. Die Saloonbesitzer wetteiferten miteinander, um die erlesensten Leckerbissen zu servieren. Die Stadt besaß jetzt auch ein richtiges Theater, in dem jeden Abend gespielt wurde. Wem der Sinn nach leichten Genüssen stand, der besuchte die sogenannten ›Künstlertheater‹. Dort konnte er sich an Mädchen sattsehen, die ›lebende Bilder‹ darstellten. Eine von ihnen posierte als ›Eva im Paradies‹.
In den Geschäften stapelten sich Luxusartikel aus aller Welt. Wer literarische Interessen hatte, konnte sich Bücher in vielen Sprachen kaufen. Wer musikalischen Neigungen frönte, fand ein Klavier, eine Geige oder eine Flöte; bei französischen und deutschen Lehrern konnte man Stunden nehmen; täglich inserierten sie in den Zeitungen. Wer genug Goldstaub hatte, war in der Lage, sich so elegant zu kleiden wie die Leute in Paris oder New York. Aus Frankreich wurden Uhren und Juwelen, Weine und Parfüme eingeführt. Die Badehäuser waren stark besucht. Ein großer Teil der Bewohner von San Francisco war aus Gegenden gekommen, wo man sich täglich wusch; diese Leute nahmen jetzt diese Gewohnheit wieder auf, obwohl sie wußten, daß man hier nicht lange sauber blieb.
Wenngleich
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