Alles Gold Der Erde
und Marny als Spielkapital mit sich trugen, und er war nicht gesonnen, Banditen in seine Nähe kommen zu lassen. Während sie sich am Mittag in ihrem ›Badezimmer‹ wuschen, erzählte Marny, daß Delbert früher auf Mississippi-Schiffen Karten gespielt habe.
»In dieser Branche muß ein Mann schnell mit dem Revolver zur Hand sein, wenn er am Leben bleiben will.«
»Haben Sie ihn dort kennengelernt?«
»Nein, ich traf ihn auf der Fahrt nach Honolulu. Er kam in Valparaiso an Bord. Delbert treibt sich gern herum.«
Marny schnallte den Gürtel ihres Reitkleides zu. Kendra bemerkte, daß in einer Tasche dieses Gürtels eine kleine Waffe stak.
»Darf ich sie mir mal ansehen?« fragte sie, denn sie hatte noch nie einen Revolver angefaßt.
Marny erklärte ihr, wie die Waffe funktionierte. Es war ein kleiner sechsschüssiger Colt. »Ist er nicht hübsch?« meinte Marny.
»Ist er geladen?« fragte Kendra scheu.
»Aber natürlich. Was für einen Sinn hätte es denn, mit einem ungeladenen Revolver durch die Gegend zu laufen?«
Als Kendra den Revolver ziemlich ängstlich zurückgab, streichelte ihn Marny lächelnd.
»Ein Geschenk eines Mannes, der den besten Spielsalon in New York geleitet hat«, erläuterte sie. »Ein Franzose aus New Orleans namens Norman Lamont. Ich habe oft die Bank für ihn gehalten. Als ich beschloß, nach Honolulu zu reisen, wollte ich ihn gern mitnehmen, aber er hatte keine Lust. Er wollte wieder heimfahren. Er meinte, New Orleans sei die reichste Spielerstadt des ganzen Landes.«
»Und Sie waren nicht dieser Ansicht?« erkundigte sich Kendra, die mehr erfahren wollte, denn von diesen Dingen wußte sie rein gar nichts.
»Ich weiß es nicht. Ich bin niemals dort gewesen. Aber ich wünschte, Norman wäre mit nach Honolulu gekommen. Er könnte auch jetzt bei uns sein und mit in die Goldfelder ziehen. Er war der gerissenste Spieler, den ich je gesehen habe.«
Marny machte eine Pause. Offenbar war sie mit ihren Gedanken in der Vergangenheit.
»Zwischen mir und Norman hat es übrigens nie etwas gegeben«, fügte sie versonnen hinzu. »Er hatte immer ein Mädchen zur Hand. Aber ich habe ihn bewundert. Er besaß echtes Talent.«
»Mehr als Delbert?« fragte Kendra.
»Ja«, antwortete Marny amüsiert, »aber lassen Sie ihn das nicht wissen. Das Leben ist ohnehin gefährlich genug.«
Kendra lachte und versprach zu schweigen. Ungläubig wollte sie dann wissen, ob Marny wirklich schießen könne.
»Gewiß. Sie haben niemals auf sich selbst achtgeben müssen, meine Liebe. Ich muß das in einem fort tun.«
Kendra fragte sich, was das wohl für ein Gefühl sein müsse: einen Revolver nötig zu haben. Es stimmte: Sie selbst hatte nie auf sich achtgeben müssen; immer hatte man für sie gesorgt. Die Reise nach Kalifornien war zwar lang, aber sie hatte sie auf einem der schönsten Schiffe gemacht. San Francisco war ein unzivilisiertes Nest, aber sie war nicht ein einziges Mal schutzlos durch die Straßen gegangen. Und nun zog sie in die Wildnis, aber sie hatte Ted bei sich.
Marny überlegte:
»Falls es dort nicht so viel Gold geben sollte, kehren wir halt wieder um und machen in San Francisco einen Laden auf.«
»Aber dort ist eine Masse Gold«, rief Kendra. »Ted hat es ja gesehen.«
Hiram, der jetzt neben ihnen ritt, kicherte. »Ich glaube ihm, sonst wäre ich gar nicht hier.« Mit seiner großen Hand zeigte er auf seine beiden Packpferde. »Alles, was ich besitze, tragen die Gäule da auf ihrem Buckel.«
»Sie sind ein mutiger Mann«, sagte Kendra, »daß Sie alles auf eine Karte setzen.«
Hiram hob eine Schulter. Sein rostfarbener Bart wuchs schon wieder nach; die Stoppeln glitzerten in der Sonne. »Ich bin nach Kalifornien gekommen, um mein Glück zu machen«, bekannte er offen. »Ich bin der Sohn eines Pfarrers. Wie Sie vielleicht wissen, schicken die Pfarrer ihre Kinder zur Schule, aber sie geben ihnen keine Reichtümer mit auf den Weg.«
Er sah kräftig und selbstsicher aus. Dann erzählte er ihnen, daß er einige chinesische Feuerwerkskörper eingepackt habe, um die Abs abzuschrecken, falls sie sich an seinen Habseligkeiten vergreifen sollten. Marny lachte.
Kendra beneidete die beiden. Hiram und Marny waren unabhängige Menschen, die niemanden brauchten und in sich selbst ruhten.
Aber ich, dachte Kendra, ich ruhe nicht in mir selber. Ich brauche andere Menschen. Ich muß Liebe haben. Ich brauche Liebe.
Heute lenkte Ning den Wagen, und Ted führte das Zugpferd. Kendra ritt zu ihm. Sie
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