Alles Gold Der Erde
wohl von einem Boxerkinn gesprochen. Sein struppiges Haar war rostrot wie der Bart. Er saß gut zu Pferde, und er hatte die überzähligen Tiere geschickt in eine Reihe gebracht. Hiram würde sicher einer von ihnen sein.
Ning gab das Signal zum Aufbruch:
»Los geht's!«
Kendra blickte sich um. Delbert ritt stumm und gedankenverloren neben dem ersten Wagen. Marny betrachtete mit Interesse, wie Pocket und Hiram die Pferde in Gang setzten. Kendra fragte sich, ob sie Marny wohl jetzt richtig kennenlernen würde. Sie hoffte es, wenngleich sie sich nicht denken konnte, wie sie eine Unterhaltung beginnen sollte. Schließlich konnte sie doch nicht einfach zu Marny treten und sagen: »Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so ist wie Sie, und ich sterbe vor Neugierde.«
Nun, irgendeinen Weg mußte es ja wohl geben. Wie Ning gesagt hatte, würden sie etwa zwei Wochen unterwegs sein. In diesen beiden Wochen konnte allerlei passieren.
Nachdem sie die von Nebeln verhüllten Berge San Franciscos hinter sich hatten, kamen sie in eine Landschaft, wo die Sonne über Gräsern und Frühlingsblumen schien und die Vögel in den Bäumen tirilierten. Zu ihrer Linken konnte Kendra die Bucht sehen, die rosa und silbern glänzte; zu ihrer Rechten ragten die Berge auf, welche die Bucht vom Meer trennten. Auf diesen Bergen graste Vieh. Dort standen kleine Häuser aus Brettern oder Lehmziegeln, in denen die Rancher lebten. Zuweilen erblickte sie einen Reiter oder eine Frau, die Wasser schleppte, oder ein Kind, das ihnen zuwinkte.
Einmal erspähten sie ein Dutzend Abs. Sie starrten aus Büschen herüber. Es waren häßliche Kreaturen mit dunkler, fast grauer Hautfarbe; ihre Haare standen nach allen Richtungen von den Köpfen ab; ihre kleinen blinzelnden Augen glänzten beim Anblick der Pferde gierig auf, denn nichts aßen sie lieber als Pferdefleisch. Sie trugen ein paar Tuchfetzen und Glasperlenketten, und sie waren derart schmutzig, daß Kendra ihren Geruch schnupperte. Ted hatte ihr berichtet, daß sie zwar alles stahlen, was sie davontragen konnten, sonst aber harmlos seien, solange ihnen nicht irgendein Narr Alkohol gab. Dennoch war sie froh, als der Wagenzug die Abs passiert hatte.
Diese ersten Tage verliefen mühelos. Ning hatte angeordnet, daß sie oft rasteten, damit die Pferde frisch blieben für den anstrengenden Aufstieg. Die Kuriere der Armee ritten vierzig Meilen am Tag, aber sie hatten keine Lasten bei sich, außer Wäsche in den Satteltaschen. Mit Wagen seien zwanzig Meilen genug, meinte Ning. Das Kochen stellte für Kendra kein Problem dar, denn sie hatte ausreichende Mengen von gedörrtem Schinken und Rindfleisch und andern Lebensmitteln bei sich.
Nur eine Kleinigkeit machte ihr Sorgen. Dieses ungezwungene Leben gefiel ihr. Aber sie war nun einmal ein zivilisierter Mensch, und es gab gewisse private Notwendigkeiten, die auch privat bleiben sollten. Auf einer Reise wie dieser – wie verhielt man sich da? Verkroch man sich einfach hinter einen Busch und hoffte, niemand komme vorbei?
Nun, sie würde sicherlich auch das bald herausfinden.
Lange vor Mittag erreichten sie einen Bach, der von Weiden gesäumt war. Ning erklärte, hier werde eine Verschnaufpause eingelegt. Er hatte die Gruppe in zwei Kochgemeinschaften unterteilt: Kendra bereitete die Mahlzeiten für Ning, Ted, Pocket und Hiram, während Marnys Leute für sich selbst verantwortlich waren.
Kendra stieg ab, Hiram nahm sich ihrer Stute an, und sie ging zum Wagen, um den Kaffeetopf zu holen. Ted, der seine Pferde ausspannte, rief ihr zu, er werde Brennholz sammeln. Kendra kletterte in den Wagen, nahm den Topf und wollte wieder aussteigen. Zu ihrer Überraschung sah sie Marny an einem der Vorderräder stehen. Sie hatte ihren Sonnenhut abgenommen, ihr Haar leuchtete wie eine Krone, und die Sommersprossen schienen auf ihrer Nase zu tanzen.
»Wollen Sie nicht mein Badezimmer benutzen?« fragte sie.
11
Marnys Stimme klang ernst, doch ihre Lippen zuckten übermütig. Ihre grünen Augen schienen zu fragen: Wir sind nun mal in diese Sache hineingeschlittert, also wollen wir sie auch gemeinsam deichseln, nicht wahr?
Hundert Gedanken schossen Kendra durch den Kopf. Sie hatte noch nie mit einer Frau von lockeren Sitten gesprochen. Eva hätte an ihrer Stelle Marny kalt angeblickt und von oben herab erwidert: »Nein, vielen Dank.« Danach wäre sie zweifellos in den Wagen zurückgekehrt, um dort zu warten, bis Marny sie von ihrer unverschämten Anwesenheit
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