Alles Gold Der Erde
ausgesehen.«
»Ich war auch fasziniert. Daß jemand so mit den Karten umgehen kann …«
»Ich liebe die Karten«, erwiderte Marny schlicht.
»Ich verstehe nicht viel davon«, entgegnete Kendra ein wenig schüchtern. »Natürlich kenne ich Spiele wie Whist, also Gesellschaftsspiele, aber keine …« Sie zögerte.
Marny lächelte. »Aber keine Spiele wie Faro und Vingt-et-un? Sie können uns in Shing Gulch zusehen, sobald wir unser Zelt errichtet haben.«
»Was für ein Zelt haben Sie denn?«
»Nur eine Zeltbahn, aber ich will sie bunt haben. Zum Drapieren habe ich roten Kattun und viele Kerzen. Und ich werde ein Schild anbringen. Aber erst muß ich mir noch einen Namen ausdenken. Gold-Bar vielleicht, denn eine Bar werden wir natürlich haben, aber dieser Name ist nicht zugkräftig genug.«
Ein Zelt inmitten der Wildnis, ein Zelt mit vielen Lichtern und buntem Kattun, ein Zelt voller Männer, die dort ihre Späße trieben, ob sie nun Karten spielten oder nicht … Marny besaß wie Eva die Gabe, mit ein wenig Kattun aus einer Hütte ein Schmuckkästchen zu machen. Wie hatte sie das kleine Haus ihrer Mutter in San Francisco genannt?
»Wie wär's mit Colico-Palast?« schlug Kendra vor.
Marny brach wie ein glückliches Kind in ein Lachen aus. »Calico-Palast! Das ist genau das Richtige! Vielen Dank! Das muß ich sofort Delbert erzählen.«
Kendra schaute Delbert an, der in seiner Einsamkeit ungemein ernst wirkte.
»Warum hält er sich eigentlich so zurück?« fragte sie.
»Delbert liebt die menschliche Rasse nicht.«
»Überhaupt niemanden? Warum nicht?«
Marny lachte. Es war ein weiches seidenes Lachen. »Mein Engel, er ist vor langer Zeit zu der Überzeugung gekommen, daß die Menschheit eine Plage ist.«
»Aber er mag doch Sie.«
»Er meint nicht wirklich mich«, gab Marny gut gelaunt zurück. »Er meint nur, ich sei weniger unangenehm als die meisten andern Leute.«
Kendra hätte am liebsten gefragt: Weshalb haben Sie ihn gern? Statt dessen erkundigte sie sich:
»Ist Delbert sein Vorname oder sein Familienname?«
»Er unterschreibt mit ›John Delbert‹, wenn es unbedingt sein muß. Bei dem Paß in Hawaii zum Beispiel mußte er den vollen Namen angeben. Sonst aber nennt er sich einfach Delbert. Ich weiß auch nicht, warum. Ich nehme an, er glaubt, es sei elegant, sich selbst diesen Namen zuzulegen.«
»Er legte sich diesen Namen zu? Ja, wie heißt er denn in Wirklichkeit?«
»Ach, meine Liebe, das weiß ich nicht. Es würde mich nicht überraschen, wenn er selbst seinen Namen vergessen hätte.«
Kendra war so verblüfft, daß ihr keine Entgegnung einfiel. Marny und Delbert hatten die letzte Nacht zusammen in ihrem Wagen geschlafen, und dabei kannte sie noch nicht einmal seinen wahren Namen! Konnte eine Frau denn so frivol sein? Sie fragte sich, ob Marny – wie Ted meinte – die Affäre auf der Cynthia wirklich nur als eine Bagatelle betrachtete. Kendra vermochte sich nicht vorzustellen, daß eine Frau es für eine Bagatelle hielt, mit einem Mann ins Bett zu gehen, aber Ted wußte gewöhnlich, worüber er sprach.
Doch wie auch immer Marny diesen Vorfall beurteilte – für Captain Pollock war es keine Bagatelle gewesen. Pollock glaubte, Marny habe sein Schiff geschändet.
Ach, Unsinn! dache Kendra. Er liebt sein Schiff. Er liebt es so, wie andere Männer eine Frau lieben. Doch was kann er gegen Marny ausrichten? Nichts. Gleichviel – vielleicht bin ich so dumm wie er –, gleichviel: Ich fühle mich in meiner Haut wohler, wenn er nach New York zurücksegelt.
An diesem Abend lagerten sie an der Südspitze der Bucht. Am nächsten Morgen wandten sie sich nach Norden. Die Landschaft war wild und nahezu menschenleer. Hin und wieder lugte ein Ab hinter einem Baum hervor, oder eine Schar mexikanischer Reiter galoppierte vorüber. Sie sahen grasendes Vieh und in der Ferne Rotwild und Wapitihirsche, die davonstoben, sobald die Wagen angerattert kamen. Ning warnte Kendra und Marny: »Reitet dicht beim Zug und seid vorsichtig! Hier kann man auf allerlei Gesindel stoßen: auf davongelaufene Matrosen und desertierte Soldaten – alles Leute, die nichts mit dem Gesetz zu tun haben wollen.«
Kendra erkannte besser denn je, daß Ning die Gefährten klug ausgewählt hatte. Hiram und Pocket erledigten ihre Arbeit gut. Delbert war auch weiterhin ein aufmerksamer Wächter bei Tag und Nacht. Delbert mochte keine hohe Meinung von seinen Mitmenschen haben, aber er schätzte immerhin die Münzen, die er
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