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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Schlaf versunken, und von einer plötzlichen Zärtlichkeit für dieses unerklärliche Wesen überkommen, das sich mir da mit so viel einfacher Nachgiebigkeit anvertraute, streichelte ich ihre Hand. Liebe ist aus zu vielen anderen Dingen gemacht, auch aus geschriebenen und empfangenen Briefen. Ich hatte mich zu dieser Frau herabgelassen, und ich fühlte, dass ich nicht so sehr eine Sünde als vielmehr einen Fehler begangen hatte. Sie verlieh dem Dasein nicht den Wert, den ich ihm gab; für sie wäre alles damit gelöst, dass sie mir gehorchte, immer, ohne sich irgendetwas zu fragen. Etwas mehr als ein Baum und etwas weniger als eine Frau. Doch dies waren alberne Phantasien, in die ich mich da verlor, um die Zeit zu vertreiben: Andere Hände streckten sich mir entgegen aus sehr hellen Fernen, ein anderes Lächeln forderte mich zur Heimkehr auf; und es wäre klug, diese Nacht zu vergessen.
    Der Schatten ging wieder vorüber, aber in der entgegengesetzten Richtung. Er war wirklich vorübergegangen, und es war keine Halluzination und auch kein übler Streich meiner Zahnschmerzen, die sich wieder meldeten, weil die Nacht
feucht war. Ich stand auf, um irgendetwas zu tun, oder vielleicht nur, um mir Mut zu machen.
    Der Schatten war von neuem verschwunden, ich konnte ihn nicht sehen, er war um einen Felsblock herumgegangen; dort hatte er sich hingeduckt und wartete. Jetzt kam mir der Gedanke, ihn zu überraschen, ich durfte ihm nicht noch mehr Vorteile einräumen. Sechs oder sieben Meter trennten uns voneinander: Er würde sie in einem Sprung zurücklegen, und gerade wenn man zerstreut ist, geschieht so etwas, falls es geschehen muss.
    Ich konnte um unseren Felsblock herumgehen und das Tier vorsichtig von hinten nehmen. Ich verließ mich auf meine Pistole; sie war keine von denen, die man in der Stadt mit sich herumträgt, sondern eine solide Waffe mit langem Lauf. Es bestand die Gefahr, das Tier zu verletzen, dann würde es wild werden, doch diese Gefahr musste ich in Kauf nehmen; schließlich bestand auch die Möglichkeit, dass ich es sofort in den Kopf treffen würde.
    Die Frau seufzte und drehte sich um, wobei sie die Arme bewegte.
    Langsam, ohne das geringste Knirschen zu verursachen, schlich ich um den Felsblock herum, der uns als Unterkunft diente. Ich ließ die Frau für einen Augenblick unbeschützt; es war ein
Risiko, aber ich musste es eingehen, und ich sagte mir, dass in der Zwischenzeit nichts geschehen würde. Ich fühlte mein Herz klopfen bis in den Hals hinauf, doch meine Hand zitterte jetzt nicht mehr. Ich machte ein paar Schritte, bis ich um den ganzen Felsblock herum war, und richtete den Blick auf den anderen Felsen, wo der Schatten sich verbarg, sah aber nichts. Vielleicht hatte das Tier mein Manöver bemerkt und war geflohen. Nun ging ich mit entschlossenen Schritten zum Felsen und untersuchte ihn. Nichts. Ich hustete, um mich zu beruhigen.
    In diesem Augenblick hatte ich eine unsinnige Vermutung. Schuld daran waren die schon allzu gespannten Nerven, ich weiß, schuld daran waren diese endlose Nacht und die ausweglose Finsternis: Ich glaubte, der Schatten sei ein Krokodil. Der Schrecken der Frau, als ich dieses Tier in mein Notizbuch gemalt hatte, und der Name Harghez , mit dem dieser Ort auf der Karte bezeichnet war, waren die beiden Elemente, die zusammenwirkten, um meiner romantischen, des Topographen durchaus würdigen Phantasie Nahrung zu geben. Aber sogleich verscheuchte ich die Vermutung: Ein Krokodil würde sich nie so weit vom Fluss fortwagen. Und außerdem haben diese Tiere an Land einen schwerfälligen Schritt. Ich lachte daher über meine Einbildungskraft. Nein, es war
eine Hyäne, vielleicht ein Leopard, obschon Leoparden allmählich auch im Tiefland seltener werden.
    Da huschte der Schatten sehr schnell an mir vorüber. Er streifte den Boden, einen Augenblick lang vom Feuer erleuchtet, es war wie ein Blitz. Ich schoss zweimal. Der Schatten stieß gegen mich, ich roch den Wildgestank seines Pelzes und fiel zu Boden, während ich die Waffe zum dritten Mal abfeuerte. Das Tier verschwand heulend, und später hörte ich, wie es weit weg mit dem Tode kämpfte.
    Ich kehrte zur Frau zurück. Alles, was nachher geschah, kann ich noch kaum fassen.
    Die Frau hatte sich herumgeworfen und presste eine Hand auf ihren Bauch. Einen Augenblick danach, noch versunken in einen sinnlosen Schlaf, stieß sie einen ersten Schmerzensschrei aus, lang, herzzerreißend, einen Schmerzensschrei, den ich schon einmal in

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