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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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beleuchtete ihr Gesicht und ihren Busen, der sich hob und senkte, dem langsamen Rhythmus ihres Atems folgend. Erst jetzt, als ich sie so ruhig und vertrauensvoll schlafen sah, fiel mir ein, dass ich sie nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.«Besser», dachte ich.«so leben wir inkognito.»Aber sie konnte nur Mariam heißen (sie heißen dort alle Mariam), und so nenne ich sie zuweilen in schlaflosen Nächten. Es war auch wirklich ihr Name.

6
    Ihre tiefe Schönheit im Schlaf. Erst im Schlaf entfaltete sich ihre Schönheit vollkommen, als wäre der Schlaf ihr eigentlicher Zustand und das Wachsein eine Art Qual. Sie schlief den warmen und schweren Schlaf des Verfalls, geradeso wie Afrika den Schlaf der großen verpassten Kaiserreiche, die nicht erstehen werden, solange der«Herr»nicht erschöpft ist von seiner eigenen Vorstellungskraft und die Dinge, die er erfindet, sich nicht gegen ihn wenden. Armer«Herr». Dann wird dieses Land wieder sein wie immer; und der Schlaf dieser
Frau wird von allen Antworten als die logischste erscheinen.
    Sie hielt einen Arm auf dem Bauch, und das schwache Licht der Nacht konzentrierte sich auf dem Silber der Armbanduhr, die ich ihr ums Handgelenk gebunden hatte. Was würde sie wohl anfangen mit diesem eigensinnigen und schadhaften Ding, zumal sie die Uhrzeit nicht lesen konnte? Selbst wenn sie sie lesen könnte, welche Trauer an dem nicht fernen Tag, an dem das wunderbare Ticktack aufhörte: Vielleicht würde ihr dies als ein böses Vorzeichen erscheinen. Gewiss, etwas Absurderes als eine Uhr konnte es gar nicht geben auf der Haut dieses runden Armes, der kurz zuvor um meinen Nacken gelegen hatte. Die Zeit ist unteilbar wie ein Gefühl. Was bedeutet ein Jahr, ein Monat, eine Stunde, wenn das wahre Maß in mir selbst ist? Ich bin uralt und halte mich für unsterblich, nicht um die Furcht vor dem Tod zu besiegen, sondern weil ich den Beweis dafür in diesen Bergen und in diesen Bäumen sehe, in den Augen dieser Frau, die den meinen wieder begegnen wie nach einer langen Abwesenheit.
    Ihr Mund war nur ein klein wenig geöffnet für den Atem, und ihre Augen ruhten wie zwei verschwiegene Katzen; und jetzt erst entdeckte ich die Vollkommenheit ihres Schnitts, das plötzliche Zittern der Lider und die langen Wimpern, die
bewirkten, dass die Augen wie halb geschlossen aussahen, auch wenn sie geöffnet waren.
    Ein anderer Schlaf kam mir in den Sinn, aber ich verscheuchte ihn. Dann wieder ein anderer, und ich verscheuchte auch diesen, nur der Schlaf dieser Frau brachte mich in Verwirrung: denn es war nicht möglich, dass er, wie alle sehr einfachen Dinge, nicht ein Geheimnis verbarg. Dieses Geheimnis musste ich kennen, dann würde auch ich schlafen, so wie man die erste Nacht unter dem Grabstein schläft mit der Gewissheit, dass es nicht anders kommen konnte, und indem man sich nicht um die Schlaflosigkeit der anderen schert.
    Sie erinnerte mich an das erste Mal, als ich mich auf ein Pferd geschwungen und zwischen den Knien eine Kraft gespürt hatte, die gehorchte in Erwartung besserer Zeiten. Oder an das Meerwasser weitab vom Ufer, das einen stößt und behütet, aber bereit ist, einen zu verschlingen, sobald man sich aufdringlich zeigt und zu viel davon wissen will: Sie erinnerte mich an alle Dinge, zu denen ich ein unkontrolliertes Hingezogensein empfunden hatte. Nun ja, lassen wir sie schlafen, diese arme Prinzessin, die keine anderen Sorgen kennt, als sich ein schlecht schmeckendes Fladenbrot zu verschaffen und sich zu waschen, aber nicht zu viel und nur um zu spielen.
    Ich hingegen konnte nicht schlafen. Meine
Müdigkeit hatte jede Grenze überschritten, und jetzt waren die Nerven gleichsam entblößt, empfindlich für jedes Rascheln, jeden Schrei, den die Nacht verstärkte. Immer ferner bellten die Schakale und ließen die Hyäne wissen, dass sie ihre Hilfe brauchten, um ein Aas auszugraben. Und die Hyäne, diese entsetzliche Nachtschwärmerin, würde kommen und ihre Verbündeten vor Freude wahnsinnig machen, während sie scharrte, zerrte, für alle ausgrub und sich als Erste bediente. Was für Fressereien bei den vielen Toten, die man so verschwenderisch hatte liegenlassen! Doch wenn die Menschen sich einigen, ist es aus. Dann kehrt man zu den mageren Mahlzeiten von früher zurück, zu den Hunden, diesen Verrätern, und den geschundenen Kamelen; und es wird immer noch das Maultier der lieben, fürsorglichen Heeresverpflegung geben.
    Die anderen Tiere schliefen, da und dort hingekauert, und

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