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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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nur allzu gut zu gefallen begann; aus dem Benehmen der Frau ersah ich nun wirklich, dass sie dableiben und mir Gesellschaft leisten wollte. Sie ging nur weg, um dürre Zweige zusammenzutragen, und jedes Mal, wenn sie ihre Last zu Boden fallen ließ, lächelte sie mir zu.
    Und doch gelang es mir nicht, mich von einer ständig wachsenden Unruhe zu befreien; aber da so viele, an sich belanglose Elemente zusammentrafen
(die Nacht, der Zahn, die unangenehmen Geräusche des Buschwaldes und das Unbehagen über dieses Abenteuer, das sich über die festgesetzten Grenzen hinauszog), beschloss ich sehr bald, mich darein zu schicken. Ob ich nun bei der Baustelle oder im Freien schlief, war schließlich kein großer Unterschied. Unten am Fluss hätten mich vielleicht die Mücken aufgefressen. Hier dagegen hatte man den Vorteil, dass man spürte, in einem unbefleckten Land zu sein: ein Gedanke, der vor allem für die Menschen seinen Reiz hat, die in ihrem Land gezwungen sind, viermal am Tag die Straßenbahn zu benutzen. Hier bist du ein Mensch, es wird dir bewusst, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, ein Nachkomme des Siegers über den Dinosaurier. Du denkst, du bewegst dich, tötest, isst das Tier, das du eine Stunde zuvor lebend überrascht hast, gibst einen kurzen Wink, und es wird dir gehorcht. Du gehst wehrlos einher, und die Natur selbst fürchtet dich. Alles ist klar, und du hast keine anderen Zuschauer als dich selbst. Das schmeichelt deiner Eitelkeit.
    Du stimmst mit dir selbst überein, du schaust dir beim Leben zu und siehst dich unendlich, Herr deiner selbst: Du würdest alles tun, nur um dich nicht zu enttäuschen. Die anderen belästigen einen, zwingen einen, den Ruhm zu teilen, den du ungeteilt haben möchtest, du bist glücklich
in der Einsamkeit. Und so bleibt man denn schließlich.
    Vielleicht würde man mich einer übertriebenen Phantasie bezichtigen. Ich nahm mir vor, das Abenteuer den Freunden in der Offiziersmesse zu erzählen. Sie würden lachen. Der Bataillonsarzt würde am meisten lachen, er lachte immer mehr als alle, wenn jemand Geschichten erzählte, die seine bescheidene Vorstellungskraft überstiegen. Er war ein großer Langschläfer und empfing die Patienten im Pyjama, die Soldaten verfluchend, die ihn aus seinen hausbackenen Träumen rissen. Und der Oberleutnant B. würde eines der Kärtchen aus seiner Brieftasche ziehen und es mir mit einem Lächeln überreichen. Auf dem Kärtchen (er hatte sich etwa hundert Stück davon in Neapel drucken lassen) hieß es:«Obwohl das von Ihnen Berichtete ungeheuerlich klingt, wird doch angenommen, dass es gutgläubig erzählt wurde; dies wird Ihnen hiermit bescheinigt in der festen Überzeugung, Ihnen eine Freude zu machen.»
    Ich brach in Lachen aus, und die Frau blickte mich an. Im Schein des Feuers wurde sie noch schöner.«Du kannst es nicht verstehen», dachte ich,«auf deine Kosten wird es ein munterer Abend werden.»Und die Erinnerung an die dort oben zurückgelassenen Freunde rührte mich beinahe, die braven Brüder, deren Namen ich vielleicht
eines Tages vergessen würde, nicht aber deren Heiterkeit und die Selbstlosigkeit ihrer völlig grundlosen Freundschaft, die in der Erinnerung jene Zeit wie das Vorspiel zu einem anderen, jetzt unerreichbaren Leben erscheinen lassen würde.
    Doch vielleicht würde ich auch schweigen, und am folgenden Tag in der Morgenfrühe würde ich wieder zu leben anfangen, als hätte es den vorherigen Tag nie gegeben, denn die heimlichen Ferien sind die besten, und letzten Endes hatte ich mich ja nur von einer Neugier befreit.
    Und selbst wenn das Verlangen nach dieser Frau mich wieder überkommen würde (und ich wusste, dass es unvermeidlich so sein würde), war nichts Schlimmes dabei. Sie war nicht die einzige Frau im Hochland, und vielleicht war die eine so gut wie die andere.
    Ich hatte Hunger. Zögernd und etwas widerwillig nahm ich das Brot, das sie mir gebracht hatte: Wir aßen gemeinsam davon. Ich hatte keine Vorräte mehr und trank noch ein zweites Ei. Sie aß sehr sittsam, steckte nur Krümel von ihrem Brot in den Mund, mit ruhiger Gebärde wie eine Bäuerin.
    Nachher streckte ich mich unter der riesigen Muschel aus; ich winkte ihr, zu mir zu kommen, und sehr bald fanden wir uns lachend aneinandergeschmiegt. Dann schürten wir das Feuer, und
der Schlaf nahm uns auf. Sie schlief zuerst ein, und um sie anzusehen, musste ich dem Feuer den Rücken zukehren. Der Widerschein der Flammen, vom Stein zurückgeworfen,

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