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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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nahm er ihn und neigte den Kopf, aber er hielt den Becher in den Händen und entschloss sich nicht, ihn an die Lippen zu führen.)
    «Nun, und wie ist es ausgegangen?», fragte ich.
    Der Leutnant fuhr auf:«Am Abend desselben Tages sahen wir einen Soldaten zurückkommen, einen Askari 5 , welcher sich die Hände über den Bauch hielt. Er schwankte ein wenig, er schien betrunken zu sein. In den Händen hielt er seine Eingeweide - er war der Einzige, der sich gerettet hatte.»
    Er brach in Lachen aus. Immerhin, dieses falsche Gelächter heiterte sogar mich wieder etwas auf.«Man darf sich nicht darüber aufregen», sagte ich,«auch solche Geschichten machen den Krieg aus, Geschichten von jungen Leuten, die Literatur oder Musik studieren und ein Jahr später fallen - wegen des Kopfsalats für den General. Niemand ist schuld daran.»

    «Ja, niemand», sagte der Leutnant,«das Flugzeug bestimmt nicht.»
    «Und nicht einmal der General hat Schuld», sagte ich.«In seinem Alter muss man sich vernünftig ernähren.»
    «Ja», sagte der Leutnant nachdenklich,«niemand. Einzig dieser Soldat vielleicht, der den Schicksalsschlägen standhält und die Logik herausfordert. So etwas, herumlaufen mit den Eingeweiden in der Hand. Das ist nicht erlaubt. In gewissen Fällen ist es einfach nicht erlaubt davonzukommen. »
    Ich sah den Leutnant an. Warum hatte er mir diese Geschichte erzählen wollen? Vielleicht… Jeder Argwohn, dass er etwa mit einer bestimmten Absicht gesprochen hatte, schwand, als ich ihn beobachtete: Sein kindliches Gesicht, dieser anspruchslose Schnurrbart, diese Brille mit dem geflickten Bügel flößten Vertrauen ein. Noch größeres Vertrauen flößte sogar diese unpassende Zigarre ein, die seinen ganzen Ehrgeiz verriet. Ich beruhigte mich. Es war das erste Mal nach all diesen Tagen, dass ich lachte, und der Platz dieses Städtchens schien mir jetzt sehr viel mehr zu versprechen, als er mir würde geben können.
    Wir machten die Runde um den Platz. Mehrere Straßen gingen von dort aus; eine davon führte zur Kirche, einem Gebäude, das wir am Ende eines
Hofes zwischen zwei Baracken mit einer Veranda erblickten. Es war ein altes Bauwerk aus der portugiesischen Zeit, vornehm gealtert, asymmetrisch, das wie durch ein Wunder noch stand: Wir hielten inne, um es zu betrachten. Nach all den Monaten etwas wie ein Gebäude wiederzusehen, dem man anmerkte, dass es nicht instinkthaft, sondern mit Verstand errichtet worden war, gab mir eine tiefe Freude, von der ich nicht wusste, womit ich sie in Zusammenhang bringen sollte. Als ich es wusste, wurde ich wieder traurig.
    Ich schluckte eine Tablette, denn der Zahn hatte wieder angefangen weh zu tun, sie zerschmolz mir im Mund und schmeckte sehr bitter.

2
    Wo war der Alte geblieben? Ich sah den Alten nicht mehr in der Tür der Wirtschaft.
    Ich richtete meine Blicke in die Dunkelheit des Platzes, und da sah ich ihn auf die Kirche zukommen. Er ging jetzt rascher, den Oberkörper vorgebeugt, und trat vor uns durch die Pforte; er schritt auf die Kirchentür zu. Doch wie vom Schatten der Bäume verschluckt, verschwand er im Hof, in dem andere schweigende Schatten umherwanderten.

    «Gehen wir hinein?», fragte der Leutnant. Ich antwortete, dass es schon dunkel sei und wir nichts sehen würden bei dieser Finsternis. Die Straßen wurden allmählich menschenleer, und der Gedanke, ins Zelt des Etappenkommandos zurückzukehren und dort zu warten, bis es Zeit zum Abendessen war, missfiel uns - lieber umherstreifen und auf die Nacht warten.
    Wir blieben stehen, und der Leutnant schlug vor, irgendwelche Mädchen um Gastfreundschaft zu bitten, etwa diese beiden, die zu uns herüberäugten und lachten; sie tauschten wohl ihre Meinungen über uns aus, die gewiss schmeichelhaft waren. Kaum hatte mein Gefährte mir seinen Vorschlag mitgeteilt, als dieser auch schon an den Eingängen der nächstgelegenen Häuser aufgefangen wurde: Er rief sogleich ein unterdrücktes Gelächter, Türenschlagen und schließlich eine solche Aufregung hervor, dass wir die Mädchen jetzt nicht enttäuschen konnten.«Ich komme nicht mit», sagte ich, aber die beiden erwarteten uns schon auf der Türschwelle und lächelten uns zu.
    Der Leutnant (er musste sich ziemlich gut auskennen mit den Sitten des Ortes) warf ein Geldstück auf den Tisch und streckte sich auf dem Bett aus, das die ganze Wand des Zimmers einnahm. Ein Mädchen lief fort, um zwei Flaschen Bier zu holen; ich setzte mich hin, und das andere Mädchen
kam

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