Alles hat seine Zeit
auf allen, und ich sah sie über den Köpfen der Kaffee
trinkenden Frauen auftauchen. Unterdessen war das Mädchen aufgestanden und auf den Hocker gestiegen; es hatte die Grammophonplatte abgenommen, aber keine neue aufgelegt.
Dies war das Zeichen, auf das die anderen Frauen warteten, und da nun das Fest zu Ende war, begannen sie wirr durcheinander das Zimmer zu verlassen. Die dicke Mutter kam, um das vor mir stehende Kind wegzubringen; sie gab ihm lachend ein paar Klapse auf den Hintern und wies ihm die Tür.
Schließlich blieben nur noch die beiden Mädchen; sie machten ohne Eile den Tisch wieder zurecht und räumten die Tassen ab. Das Mädchen, das neben mir gesessen hatte, wandte mir dann und wann ihr Gesicht zu und lächelte, darauf begann sie mit leiser Stimme vor sich hin zu singen: das Lied von vorher, aber so langsam, dass ich es fast nicht wiedererkannte.
Alle waren weggegangen, und nun trat der Alte ins Zimmer und sprach mit dem Mädchen, das sang. Er redete schnell, in seiner Sprache, mit einer unangenehmen, kehligen Stimme. Nachdem das Mädchen ihn angehört hatte, schüttelte sie verneinend den Kopf, dann wandte sie sich an das andere Mädchen und wiederholte, was der Alte zu ihr gesagt hatte, denn ich hörte beinahe dieselben Worte, und ein Name wurde immer
wiederholt: Mariam (vielleicht war es der Name eines der Mädchen). Auch das andere Mädchen erwiderte etwas, das den Alten nicht befriedigte.
Er ging nicht fort. Er blieb neben dem Tisch stehen und kehrte mir den Rücken zu, er sah müde aus. Ohne dass ihn jemand aufforderte, setzte er sich hin, und das Mädchen (das wieder angefangen hatte, unerträglich langsam zu singen, und mir bisweilen zulächelte) bot ihm eine Tasse Kaffee an, die übriggeblieben war, vielleicht dieselbe, die ich abgelehnt hatte.
Der Alte trank, dann wandte er sich an den Leutnant und sagte ein paar Worte. Der Leutnant gab Antwort.
Der Alte hatte mich nie angesehen; sobald er mich erblickte, hielt er inne, um mich zu betrachten, und deutete mit dem Kopf einen kurzen Gruß an. Ich saß in einer Ecke und war vom Schatten der Lampe verdeckt. Endlich erhob sich der Alte, sagte: «Buona sera» und ging zur Straße hinaus. Ich folgte ihm mit den Augen durch die Türöffnung. Seine Gestalt wurde immer kleiner, und sehr bald verwischte sich der weiße Fleck seines Gewandes in der Dunkelheit.
«Was wollte er?», fragte ich den Leutnant.
«Nichts», gab er zur Antwort. Ich drang nicht in ihn, denn schon wieder begann der Kiefer mir weh zu tun, und das Stechen stieg bis zum Auge
und zur Stirn hinauf wie ein Schwert, sicher geführt von einer grausamen Hand, die beharrlich herumsticht und bis ins Gehirn zu dringen versucht.
«Gehen wir weg», sagte ich. Doch der Leutnant rührte sich nicht, und auch ich war nicht imstande, mich zu bewegen. Die beiden Mädchen wollten gerade die Tür schließen, aber jetzt stand ich auf und gab ihnen zu verstehen, dass ich frische Luft brauche, atmen müsse. Sie ließen die Tür angelehnt, und ich setzte mich auf die Stufe. Durch den Spalt sah ich noch einmal den Alten, wie er auf andere Häuser zuging, auf jener Suche, von der ich wusste, dass sie vergebens war.
Am Morgen darauf nahmen ich und der Leutnant einen Lastwagen nach Asmara, er entschlossen, sich zu amüsieren, und ich, mir den Zahn ziehen zu lassen.
3
Es war kein schöner Film, und doch hatte ich ihn schon mehrmals gesehen. Jeden Tag - obschon ich mich dieser Schwäche zu schämen begann - verließ ich das Hotel mit dem Entschluss, ein paar Schritte spazieren zu gehen: Ich ging bis zu den Gärten, schaute ins Tal, trat in eine Bar ein, um einen Aperitif zu trinken, und dann, unmerklich,
stand ich wieder vor den Fotografien dieses Films, den ich schon so viele Male gesehen hatte, auch in Italien. An diesem Tag fürchtete ich, die Kassiererin könnte mich wiedererkennen und über eine so beharrliche Bewunderung erstaunt sein, aber sie erkannte mich nicht, und kurz darauf war ich in jenem Traum, der mir eine stumpfe Ruhe verlieh, wie Rauschgift.
Ich wusste, warum dieser Film mir eine so große Ruhe gab. Irgendetwas in den Augen einer zweitrangigen Schauspielerin (o nein, nichts Außergewöhnliches) war es, das mich an andere Augen erinnerte. Ein qualvoller Friede tröstete mich, wenn jene Augen sich so sicher auf der Leinwand hin und her bewegten; ich gab mich ihrem Schauspiel hin und versuchte mit der Erinnerung an«sie»zu leben, die Augenblicke unseres Glücks in den verlorensten
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