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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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zu begleiten, obschon ich nicht die geringste Absicht gezeigt hatte zu gehen.
    «Wenn du zum Lager kommst, kannst du so viel Brot haben, wie du nur willst», sagte ich. Er dankte noch einmal, doch ich begriff, dass er niemals kommen würde, dass ich nie sehen würde, wie er vor meinem Zelt stand und mich grüßte,
mich als Sieger anerkannte. Das Kind war mir lästig, ja, und Johannes war mir lästig; ich spürte, dass er nicht feindselig war, aber unerreichbar, entschlossen, seine Toten zu bewachen und mir nicht zu vergeben. Es war irgendetwas in ihm, das mir auswich, irgendein Aufblitzen seiner matten gelblichen Augen, die woandershin abschweiften.
    Ich fing wieder von Elias zu sprechen an. Aber immer stärker empfand ich die Missstimmung, den Ärger über diesen unerwünschten Besuch. Zwar hatte ich mir über Johannes’ Gesprächigkeit keine Illusionen gemacht, doch ich hatte wenigstens auf ein Zeichen von Erkenntlichkeit gehofft. Eigentlich war ich durchaus nicht verpflichtet, ihn zu unterstützen, und die Gründe, die mich drängten, an diesen Ort zurückzukehren, bezogen sich keineswegs auf ihn; er konnte sie ja nicht kennen.
    «Du solltest kommen und im Hochland leben», sagte ich. Wenn er ins Hochland hinaufgekommen wäre, hätte er leicht besser leben können. Er war ein alter Askari, er verstand unsere Sprache. Doch er gab keine Antwort. Er begleitete mich bis zum Wildbach, einem Würdenträger ähnlich, der seinen Gast auf den Weg geleitet und ungeduldig darauf wartet, ihn fortgehen zu sehen.
    «Leb wohl, Johannes», sagte ich bei mir, als ich ihn verließ,«dies ist das letzte Mal. Ich bewundere
dich zwar, aber die Bewunderung kostet mich Mühe, allzu große Mühe, und ich hasse das wandelnde schlechte Gewissen.»

5
    Kaum hatte ich den Wildbach in raschem Marschtempo überschritten, hörte ich, dass ich gerufen wurde. Ich wagte nicht, mich umzudrehen.«Ach was», sagte ich zu mir selbst,«wovor hast du Angst?»Und doch wagte ich nicht, mich umzuschauen; als ich aufs Neue die Stimme vernahm, blickte ich nur knapp über meine Schulter zurück.
    Der Schmuggler lief herbei. Er kam aus der Schlucht und näherte sich mit einer Miene, die irgendein Einverständnis ausdrückte; er wollte mit mir reden, es musste sich um eine sehr schwerwiegende Angelegenheit handeln, denn er blickte um sich und wollte sich vergewissern, dass wir allein waren. Ich versuchte zu lächeln und ging wieder weiter, ich wollte mich entfernen, doch der Schmuggler holte mich ein und blieb stehen. Da sagte ich schroff zu ihm, er solle reden. Er zog eine Handvoll Erde aus der Tasche und hielt sie mir hin, ohne etwas zu sagen; dabei forschte er aufmerksam in meinem Gesicht
und kostete mein Erstaunen vielleicht schon im Voraus aus.
    «Schauen Sie», sagte er. Ich betrachtete die Erde und sah ein paar goldgelbe Splitterchen. Sie glänzten in der Sonne. Ich gab dem Schmuggler die Erde zurück, und während ich mich wieder auf den Weg machte (immer ungeduldiger, von diesem Ort, den ich allzu sehr herausgefordert hatte, fortzukommen), sagte ich und versuchte dabei meiner Stimme den ruhigsten Ton zu geben, der mir möglich war:«Wo hast du das Zeug gefunden?»
    Der Schmuggler war unschlüssig, ob er mir die Stelle zeigen solle oder nicht, endlich rang er sich dazu durch. In seiner harmlosen Phantasie sah er sich bereits als reichen Mann, doch er wusste, dass Formalitäten zu überwinden waren, ehe man zum Besitzer derartiger Reichtümer erklärt würde, und er wollte, dass ich ihn beriet.«Ich verstehe nichts davon», erwiderte ich,«aber ich glaube nicht, dass dieses Zeug da Gold ist.»
    Seine Enttäuschung war von kurzer Dauer, er glaubte, ich mache Spaß oder ich wolle ihn sogar betrügen. Er sagte, er würde mir gern die Hälfte von diesem Schatz abtreten, wenn ich ihm dessen Besitz garantieren würde.
    «Dieses Zeug», sagte ich,«würde nicht uns gehören. Wir stehen im Militärdienst.»Aber von
einem Impuls ergriffen, der stärker war als meine Beunruhigung, wollte ich doch, dass er mir die Stelle zeigte, wo er die Erdscholle gefunden hatte.
    War dies Mariams Grab, dieses elende Gesträuch? Wir gingen nahe daran vorüber, dennoch war ich nicht sicher, ob ich es wiedererkannte. Nach ein paar hundert Schritten, genau am Rand der Schlucht, blieb der Schmuggler stehen und nahm noch eine Handvoll Erde auf.
    «Es ist kein Gold», sagte ich,«es hat in diesem Fluss nie Gold gegeben, das wissen alle, und es ist sinnlos, sich Hoffnungen zu machen.

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