Alles hat seine Zeit
für seine Schuldigkeit, sie mir zu vergelten, und zwar auf die einzige Art, die er kannte: mit Treue. Eines Nachts wurde ich gewahr, dass er nicht mehr im Lagerraum der Kompanie schlief, sondern sich neben meinem Zelt hinkuschelte. Ich hörte seinen sanften Atem durch die Leinwand, und es gelang mir nicht, zu schlafen. Ich dachte darüber nach, dass ich ihn am nächsten Tag aus dem Lager fortjagen und ins Dorf zurückschicken lassen
würde, aber war das überhaupt möglich? Hatte sich nicht etwa alles so ergeben, dass ich es nicht mehr lenken und kontrollieren konnte? War es nicht schon ein Wunder, dass nicht auch noch der Alte kam, um draußen vor dem Zelt zu schlafen, und dann die beiden Knaben mit dem Strick um den Hals und das ganze Dorf? Und auch Mariam, da wir schon dabei sind, warum nicht? Fort mit euch allen, weg von meinem Zelt!
Ich presste meinen Kopf zwischen die Hände, um nicht zu schreien, um nicht aus dem Zelt hinauszurennen und dem Eindringling, den ich aus alberner Schwäche bis hierher geschleppt hatte, Fußtritte zu versetzen. Sein Platz war im Dorf; was hatte ich mit seiner Erziehung, mit seiner Zukunft zu tun? Eines schönen Tages würde das Kind gehen, sagte ich mir, sobald es begreift, dass es allein die gleiche Arbeit erledigen kann, die es jetzt mit dem Schmuggler gemeinsam macht. Warten wir ein paar Wochen, und es wird gehen. Ich hatte auf der Straße kleine Kinder von vier Jahren gesehen, die darum baten, von den Autos mitgenommen zu werden, und die sogar Entgelt anboten, um Strecken von fünf-, sechshundert Kilometern mitfahren zu dürfen und ein paar Päckchen Zigaretten zu verkaufen. Ich hatte einen Jungen zweihundert Kilometer zu Fuß gehen sehen, um eine Kanne Öl zu verkaufen und wenige Lire
dabei zu verdienen: Das Handeln liegt denen dort unten im Blut, und die Treue fassen sie als einen Weg auf, um Vertrauen zu gewinnen, das sie dann später missbrauchen.«Mach dir keine Sorgen», sagte ich,«das Kind wird gehen. Und dann wird es das Zeichen sein, dass du deine ganze Schuld abgebüßt hast.»
Ich öffnete das Zelt, und das Kind sprang auf und lächelte.
4
Eines Morgens beim Aufstehen fühlte sich meine rechte Hand wie betäubt an; ich nahm den Verband ab, und rings um die Kratzwunde, die jetzt fast vernarbt war, sah ich, dass die Haut angeschwollen und rauh geworden war und sich blasslila verfärbt hatte. Ich berührte die Hand, betastete die Schwellung, und ich fühlte eine fremde Hand, als ob sie nicht mehr mit meinem Arm verbunden sei. Der Ekel, den ich darüber empfand, war rasch überwunden, nachdem ich mich gewaschen und mir etwas Bewegung verschafft hatte: Ich spürte, wie ein dumpfer und beharrlicher Schmerz in den Fingern entstand. Nach den Beunruhigungen der Nacht besänftigte mich das Licht der Sonne, und als ich frühstückte, war ich vollkommen ruhig. Ich bepinselte meine Hand
mit Jodtinktur, legte einen leichten Verband an und lief, die Männer zu inspizieren, die gerade zur Abkürzung aufbrachen, um die Verbesserungsarbeiten vorzunehmen.
Auf diesen Gedanken war der Major gekommen, damit die Leute nicht auf der faulen Haut lägen, aber die Abkürzung wurde jetzt überflüssig. Es kam nur noch gelegentlich vor, dass Maultiere dort gingen, auf der Straße konnten seit einiger Zeit Lastwagen verkehren. Es wäre nur wenig zu tun gewesen. Doch um die Langeweile zu vertreiben, verrichteten die Soldaten diese Arbeit mit einer ungewöhnlichen Sorgfalt. Sie wollten eine regelrechte Straße daraus machen, sie schmückten die Windungen mit Prellsteinen und stellten auch Pfeile und Schilder auf; man musste sie gewähren lassen, im Überflüssigen fanden sie einen Trost für diese Zwangsarbeit.
Oft war die Reihe an mir, die Arbeiten zu beaufsichtigen. In Wirklichkeit nahm ich nur die Gelegenheit wahr, um mit den Soldaten ein wenig zu plaudern. Oder ich entfernte mich bis zum Wildbach und schaute von dort zum Dorf hinüber. Die Erhängten waren vom Alten begraben worden.
Mit dem Mut eines Menschen, der die Angst herausfordert, hielt ich mich zuweilen bei den Wassertümpeln auf und las oder tat wenigstens
so. Ich drang sogar bis zu dem Felsblock vor, der mich und die Frau in jener Nacht beherbergt hatte, und betrachtete jeden Stein, jeden Baum, enttäuscht, dass der Schauplatz meiner Schuld so erbärmlich war. Ein paar Steine. Und dabei hatten in meinem Gedächtnis alle Dinge größere und ewige Proportionen angenommen. Aber dies war alles: unsere Lagerstatt, der Felsblock,
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