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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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bei dem das Tier sich hingeduckt hatte, die Erde, die ihr Blut aufgesogen hatte, die aufgeschichteten Sträucher, zum Anzünden bereit, und oben in der Höhe das Hochland, jetzt, da ich den Weg kannte, gar nicht so fern, wie es mir damals erschienen war. Als ich mit einem Stock in der Erde herumstocherte, fand ich eine weitere Patronenhülse; ich nahm sie rasch an mich.
    Ich konnte mich noch nicht entschließen, das Grab der Frau wiederzusehen, doch ich stellte mir vor, dass noch alles an seinem Platz sei, auch die Büsche, die ich daraufgelegt hatte, um es zu tarnen. Vielleicht würden die Regenfälle jede Spur verwischen, indem sie noch mehr Erde und Geröll über die alte Spalte brächten, zumal die Stelle gegen die Schlucht hin abfiel. Da kein Gestank zu spüren war, durfte ich glauben (tatsächlich war es so), dass kein Tier diesen Ort entweiht hatte, und dies war bereits ein Trost.
    Eines Tages drang ich bis zum Dorf vor. Drei
Tage zuvor hatte ich Johannes bei der Abkürzung getroffen, ich wollte ihn wiedersehen und trug einen Brotbeutel bei mir mit Sachen, die ihm nützlich sein könnten; ich bildete mir ein, dass er sie gern annehmen würde. Als ich auf die Lichtung kam, rief ich, aber niemand antwortete. Vielleicht war Johannes fortgegangen, um sich etwas zu essen zu verschaffen, er war vielleicht zum Nebenfluss gestiegen oder auch in irgendein Dorf des Hochlands; ich wusste nicht, wie er lebte. Das Dorf war verlassen, und auf der Lichtung war die Grube mit den Leichen mit großen Steinen zugedeckt worden, zwischen denen schon wirre und widerwärtige Pflanzen hervorsprossen.
    Ich rief noch einmal und näherte mich den Hütten. Ich erkannte jene von Johannes, die einzige, welche die Anwesenheit eines lebendigen Menschen verriet. Eine Strohmatte, ein Tisch, ein paar Steingutschüsseln und wenige Kleidungsstücke waren darin. Die anderen Hütten waren völlig verlassen, aber Johannes hatte überhaupt nicht daran gedacht, die Gegenstände in Besitz zu nehmen, die ihm vielleicht nützlich gewesen wären. Er hatte die Unordnung und das wirre Durcheinander genauso gelassen, wie es entstanden war, kurz bevor die Einwohner hingerichtet wurden. Es war nicht schwierig, sich vorzustellen, was geschehen war. Scharen von Ameisen waren in die
Kästen mit den Nahrungsmitteln eingedrungen, und nachdem sie diese verzehrt hatten, verschlangen sie jetzt das Übrige, die wenigen Stoffe, das Holz, die Überbleibsel des Massakers.
    Es waren fünf Hütten, doch ich vermute, dass einige auch damals unbewohnt waren; vielleicht gehörten sie Leuten, die sich schon einige Zeit vorher in die Berge geflüchtet hatten. Ohne es mir eingestehen zu wollen, suchte ich die Hütte von Mariam; vielleicht hätte ich sie erkannt, aber es war unmöglich, denn ich wagte mich nicht in diese elenden Buden hinein, die mich mit ihrem unerträglichen Hauch von Verlassensein zurückstießen. Ich stand auf der Schwelle einer Hütte, als Johannes neben mir auftauchte.
    «Johannes», sagte ich mit übertriebener Heiterkeit,«wo warst du?»
    «Dort», und er zeigte in die Richtung des Flusses. Dann blieb er stehen und starrte mich an, ohne etwas hinzuzufügen. Ich fühlte, dass ich gegen Johannes nie ankommen würde; ich beging den Fehler, dass immer ich anfing, daraus musste er die schlechtesten Folgerungen über meine Fähigkeiten als Offizier ziehen. Ich wusste, dass die Askari jene nicht mögen, die ihnen allzu großes Vertrauen schenken, denn sie argwöhnen, dass sich darin die Ungerechtigkeit verberge, die sie früher oder später am eigenen Leib zu spüren bekämen.
Ich wusste von Askari, die, nachdem sie zuerst bestraft und dann freigesprochen worden waren, verlangt hatten, die ganze Strafe abzubüßen, gleichsam als Garantie dafür, dass der zukünftige Lohn nicht ausbleiben würde. Ich aber verstand es nicht, mit diesen Leuten umzugehen.«Elias macht Fortschritte», fing ich wieder an,«er hat diese Woche mindestens hundert Lire verdient. »
    Der Alte blieb gleichgültig.
    «Er ist ein tüchtiger Junge, man muss ihn einfach gernhaben.»
    Wieder machte ich einen Fehler. Ich legte eine übertriebene Herzlichkeit in meine Worte, nicht nur, damit er mir dankbar sein sollte, sondern - und das war schlimmer - um ihm zu zeigen, ein wie guter Freund ich sei und wie sehr er auf mich zählen könne. Er nahm den Brotbeutel, ohne den Inhalt anzusehen.«Danke», sagte er und ging, um ihn in seine Hütte zu bringen. Dann kam er wieder und schickte sich an, mich

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