Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
Vom Netzwerk:
beteiligen.«Dies ist die schlimmste Prüfung», dachte ich.«du musst sie bestehen.»Ich hatte mich neben das Grab der Frau gesetzt, entschlossen, mich nicht zu erheben, wenn jemand käme, um an dieser Stelle zu graben.
    Ich schaute zu, wie betäubt von so viel Munterkeit. Dann sah ich noch weitere Offiziere auf die Schlucht zukommen; der Hauptmann wandte sich zu ihnen und deutete lachend auf mich. Ich war nicht fähig aufzustehen. Die Offiziere traten heran, und man stellte sich vor. Sie waren von der Baustelle und gratulierten mir scherzend zu meinem Glück. Einer von ihnen hatte auf seinem Rockkragen granatrote Spiegel. Vielleicht die Spiegel des Sanitätskorps. Doch es war nutzlos, ihn zu fragen.
    Sie gingen nicht weg, ja, sie setzten sich sogar in meine Nähe, und der Offizier mit den granatroten Kragenspiegeln (vielleicht war er bei den Pionieren oder den Bersaglieri 9 : doch im ersten Fall hätten die Kragenspiegel einen schwarzen Grund gehabt, und im zweiten wären sie flammenfarbig gewesen) setzte sich auf das Grab. Ich konnte ihn nicht daran hindern. Die Soldaten fuhren fort zu graben und wurden immer vergnügter; der Hauptmann wollte sich über die Ausdehnung des Goldvorkommens Rechenschaft ablegen.

    «Diese Spiegel sind vom Sanitätskorps?», fragte ich.
    Er bejahte. Ich fragte nichts weiter, nicht, seit wann er bei der Baustelle sei und ob er erst kürzlich, nach dem Überfall, gekommen sei, um die Verwundeten zu pflegen. Wahrscheinlich war er erst vor kurzem gekommen: Sein Waffenrock war noch ganz neu. Und die Sonnenbrille hatte er auf den Tropenhelm geschoben. Aber wegen der Verwundeten musste er gewiss nicht bei der Baustelle bleiben, wenigstens nicht, wenn es sich um Leichtverletzte handelte. Vielleicht war er auf der Durchreise und hielt sich bei der Baustelle auf, bevor er zu den gegenüberliegenden Bergen weiterging, vielleicht zögerte er, den Fluss zu verlassen und sich in das öde Gebiet hineinzuwagen, wo es keine Straßen und keine Lastautos gab.
    «Sie haben gerade erst Ihr Studium abgeschlossen, nehme ich an», sagte ich. Er hatte ein sehr junges Gesicht, die Soldaten würden wohl recht bald seine Nachgiebigkeit ausnutzen und sich über allerlei Leiden beklagen. Er erwiderte, er sei Dozent an der Universität. Und Chirurg.
    Die Offiziere gingen nicht weg, im Gegenteil, sie zündeten ihre Zigaretten an und redeten über die Heimkehr. Auch der Offizier mit dem neuen Waffenrock sprach davon, und ich fragte mich, wie jemand mit einem derart neuen Waffenrock
sich erlauben durfte, von der Heimkehr zu reden. Und ich fragte mich auch, warum sie nichts wahrnahmen, nicht diesen leichten, fast unmerklichen, aber durchdringenden Geruch. Ich roch ihn; vielleicht weil ich müde war, nüchtern, angewidert? Oder war es nur diese Nähe? Nein, es war ein kaum merklicher Hauch, doch erinnerte er an etwas ganz Bestimmtes. Vielleicht an den Geruch des Hauses der beiden Mädchen, der sich gleichsam zu größter Schärfe verdichtete, an Verwesung, und darein mischte sich die Erinnerung an die in der Sonne liegenden Tierkadaver. Aber ich war der Einzige, der etwas wahrnahm, und insgeheim freute ich mich darüber.
    Die Soldaten folgten der Ader des Minerals, die glücklicherweise in die Schlucht hinunterführte und dann gegen das Hochland hin wieder anstieg. Und es kam niemand mit der Schaufel, um zu mir zu sagen:«Gestatten Sie, Herr Oberleutnant? »
    Abends, als wir ins Lager zurückkehrten, fiel ich zu Boden. Ich konnte nicht wieder aufstehen; mein Kopf schwindelte, ich spürte, wie die Übelkeit mir die Kehle zuschnürte.«Geht nur weiter», sagte ich,«ich ruhe mich aus.»
    Ich hörte, wie die Stimmen der Soldaten sich entfernten, und richtete den Blick über das Tal hinweg auf die Sonnenscheibe, die in ihrer dunstigen
Glut ertrank und die ersten Schreie im Gehölz erweckte. Ich war wie zerschlagen. In diesem ganzen Zusammentreffen von unglücklichen Zufällen, in dem Kind, das draußen vor meinem Zelt schlief, in Johannes, der mich vor die Tür setzte, in dieser absurden Sache mit dem Gold und in jenem Offizier mit dem neuen Waffenrock, der lächelnd ankam, nachdem die Tat vollbracht war, ahnte ich das Wirken eines heimtückischen Plans. Aber was wollte man von mir? Sollte ich zu brüllen anfangen wie ein reumütiger Mörder:«Sie ist hier! Grabt!»? Ich wusste, dass ich dieser Versuchung nie nachgeben würde, nicht einmal der Versuchung, die Geschichte einem Freund zu erzählen, um mit dem Geheimnis eine

Weitere Kostenlose Bücher