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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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zufrieden mit sich selbst, um mich nicht sympathisch zu finden.«Sie kennen Mimi auch?», fragte er.
    «Nicht wie Sie», erwiderte ich lachend. In diesem Augenblick kam die Frau herein; sie war unterwegs gewesen, um Besorgungen zu machen. Als sie sah, dass wir im Gespräch waren, machte sie sich daran, das Zimmer aufzuräumen.«Dies ist wohl Ihr Tageshotel», sagte ich zum Major und zeigte auf das schmutzige Zimmer, in dem die Spuren der Männer überall sichtbar waren und auch unsere Anwesenheit zweideutig machten. Er lachte offen, kopfschüttelnd. Er war auf der Durchreise, wollte nur schnell hineinschauen und eine Dusche nehmen. Er fühlte sich sehr jung, geliebt, und zwar vor allem seiner neuen unerwarteten Jugend wegen, die ich ihm enthüllt hatte. Er sagte, Mimi sei ein liebes Mädchen, sie widerspreche nie, und er streichelte ihr gemächlich den Rücken. Die Frau drehte sich nicht einmal um, und im darauffolgenden Schweigen spürte ich, dass sie mir feindlich gesinnt war. Nach einer Weile verließen ich und der Major das Zimmer, um zum Mittagessen zu gehen. Seine Begleitung war für mich ein unverhofftes Alibi.
    Er war sehr zufrieden, der Major. Er hatte eine neue, unbekümmerte Seite seines Lebens entdeckt,
und darüber musste er sich wohl glücklich fühlen. Nachdem er die Würde seines Ranges abgelegt hatte, die ihn damals bei unserer ersten Begegnung zu dem Ratschlag veranlasst hatte, ich solle mich rasieren, schien er nun das natürliche Komplizentum meines jugendlichen Alters von mir zu fordern. Ja, er durfte mich wie einen kleinen Jungen behandeln, mit dieser gönnerhaften Herablassung, mit der die sehr beschlagenen und erfolgreichen Männer die jungen Leute behandeln, die diese Eigenschaften nicht vorweisen können. Er hatte sich von allem Neid frei gemacht. Ich dachte wieder an seine Schublade dort, die vielleicht nicht mehr so peinlich genau aufgeräumt war. Er schlug mir mit der Hand auf die Schulter, mit einer herzlichen Gebärde, wie um mich zu entschuldigen, dass ich nicht so war wie er, dass mir das Glück nicht so hold war, dessen Wert er jetzt auch gebührend zu schätzen wusste.
    Er sprach von«seinem Lastauto». Er besaß also einen Lastwagen, nicht einen von der Armee, sondern ein regelrechtes privates Lastauto. Und er betrieb Geschäfte. Er war nicht der Einzige. Deshalb behandelte er mich wie einen kleinen Jungen, der viel lernen muss vom Leben, der den Optimismus verficht und die Eingeborenen liebt, weil er in ihnen gewisse Tugenden findet, welche die anderen Völker glücklicherweise gerade verlieren.
Ich hatte viel von ihm zu lernen, davon waren wir alle beide überzeugt.
    Ja, ich musste ihm wohl sympathisch sein.«Sie sind so einer von diesen Offizieren», sagte er,«wenn die auf Wache ziehen, leert sich die Kaserne, sogar die Kranken gehen aus, und am Abend kommt keiner zurück.»Und er lachte. Auch ich lachte, bescheiden. Ich bemerkte, dass seine sichere Eleganz manchmal in ein zwangloseres Benehmen verfiel und dabei alle Vulgarität verlor. Aber in solchen Augenblicken alterte er, und dann entstand sein ewiges Lächeln, das listige Augenzwinkern. Er kämpfte gegen seinen Verfall.
    Er betrachtete den Hafen mit anderen Augen als ich. Ich sah ihn als den Ausgangspunkt meiner Flucht, er als eine größere Baracke. Die Kisten kamen von dieser Laderampe und wurden in seinen türkisfarbenen Lastwagen gehoben. Es erforderte keine große Anstrengung, nur so viel Anstrengung, wie man braucht, um eine Kiste zu nehmen und sie auf ein Lastauto zu stellen. Es war nicht einmal Diebstahl. Und ich war es gewesen, der ihm die Existenz aller Rahabats, die keinen genauen Zeitbegriff haben, offenbart hatte. Ich lächelte, als ich an die Ehefrau im Bilderrahmen dachte. Nach seiner Rückkehr würde der Major fortfahren, seine zweite Jugend zu genießen, mit Hilfe des Vermögens, das er unterdessen anhäufte.
Die Ehefrau würde im Bilderrahmen bleiben. Das war jetzt ihr Platz, und sie schien dort nicht unzufrieden zu sein. Sie lächelte.
    Und mir fehlten zweiunddreißigtausend Lire. Ja, nunmehr sogar vierzigtausend.
    Es war nach dem Mittagessen, als mir in den Sinn kam, ihn darum zu bitten. Wir hatten uns zur Bar begeben und sogen die Trägheit dieses schwülen Nachmittags auf, indem wir Orangensaft tranken. Ich dachte, er könne mir das Geld nicht verweigern, ja, er dürfe es nicht. Erst später begriff ich den Grund für meinen absurden Anspruch: Ich fühlte mich als sein natürlicher Gläubiger. Was

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