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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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getroffen hatte); dieser träge Doktor, der an Aphorismen Freude hatte, am Kaffee, an seinen Pantoffeln, und dessen Freundschaft ich unversehens gefühlt hatte, wie man manchmal an einem düsteren Wintertag den Frühling durch die Bäume eines Gartens wehen fühlt. Hatte er sich denn nicht darauf eingelassen, dieser Menschenfeind, eine Stunde lang mit mir zu plaudern, bevor er merkte, dass ich nur ein Kranker war?
    Und jetzt dieser Major, der mich für einen jungen Mann hält, der vertrauenswürdig und noch zu retten ist; er spürt in jedem meiner Worte Bewunderung für seine Erfolge.
    Ich hätte mich auch nicht mehr zurückziehen können. Alles spielte sich außerhalb meiner selbst ab, mit einem Einverständnis, das ich nicht einmal
gefördert hatte. Ja, es waren schon vor langer Zeit begangene Verbrechen, die ich nachvollzog. Eine Restaurierungsarbeit. Jetzt schien es mir, als hätte ich schon bei unserer ersten Begegnung, auf dem Platz in A., alles verstanden. Seit damals hatte irgendetwas (vielleicht die Art, wie er ging, die Bewegung, mit der er sich das Koppel zurechtrückte, seine mürrische Miene, die eine übermäßige und verspätete Sinnlichkeit verdeckte) - irgendetwas hatte mich vorausahnen lassen, dass ich in der Geschichte des Majors eine Rolle spielen würde.
    Als wir vom Fluss kamen, hatte ich bemerkt, dass am südlichen Rand der Hochebene noch weitere Truppenteile das Lager aufgeschlagen hatten, in der Nähe des ersten steil abfallenden Straßenstücks. Ich sagte daher zum Major, ich wolle dort bleiben, um einen Vetter von mir zu begrüßen, der auch Offizier sei und den ich lange nicht gesehen hätte. Ich würde am nächsten Tag mit irgendeinem Lastwagen weiterfahren. Es fehlten noch vier Tage bis zur Abfahrt des Dampfers (und sechs bis zur Abfahrt des alten Kahns).
    «Wenn Sie wollen», sagte er,«eine Stunde kann ich auf Sie warten.»Ich erwiderte, dass ich lieber länger bleiben wolle. Er machte keine weiteren Einwände, nur schien er mir weniger herzlich als sonst. Seit der Ankunft in D. war er verändert, vielleicht waren die Geschäfte daran schuld.

    Über alles hatte ich mir Gedanken gemacht, außer übers Geld. Ich beschloss, dass ich es ihm wegnehmen musste, ohne ihn mit der Pistole zu bedrohen: Er würde sonst schreien, und ich wäre gezwungen zu schießen und könnte Aufmerksamkeit erregen. Ich musste es stehlen. Das Wort entsetzte mich jetzt nicht mehr; aber das Schwierige war, an diese Tasche mit dem Geld heranzukommen, ohne Verdacht zu erwecken. Er behielt sie immer bei sich, und ich würde sicherlich nicht zum Lastwagen in die Schlucht hinuntersteigen können, um in den Trümmern oder gar in den lodernden Flammen herumzustöbern. Ich musste das Geld vor der Abfahrt stehlen, aber wie? Ich sagte mir, dass mir im gegebenen Augenblick irgendetwas einfallen würde. Dann wieder warf ich mir diesen Leichtsinn vor und zerbrach mir den Kopf, welches Vorgehen am besten gelingen würde. So lag ich die ganze Nacht hindurch wach; die Tasche mit dem Geld war auf dem Tisch, aber ich hätte sie nicht nehmen können, ohne das Feldbett des Majors zu berühren.
    Beim Morgengrauen, als wir zur Abfahrt bereit waren, hatte ich noch nichts entschieden und war schon im Begriff, den Plan aufzugeben und die Schraubenmutter wieder festzudrehen, nach Massaua zurückzukehren, auf eine weniger kostspielige Einschiffung zu warten, Mariam um Gastfreundschaft
zu bitten. Da bot sich die Gelegenheit, als ich am wenigsten darauf gefasst war. Der Major stieg, nachdem er die Tasche neben sich auf den Sitz des Lastwagens gelegt hatte, einen Augenblick aus, um nachzusehen, ob die Reifen in Ordnung seien, und in diesem Augenblick (ich glaubte, mein Herz bleibe stehen) öffnete ich die Tasche, nahm einen Packen Banknoten (es waren Fünfhundert-Lire-Scheine), versteckte den Packen im Tornister und zündete eine Zigarette an: gerade noch rechtzeitig, ehe der Major, der mit dem Ergebnis seiner Kontrolle zufrieden war, wieder einstieg und sich ans Steuer setzte.
    Jetzt musste der Plan gelingen: Die Schraubenmutter würde so lange halten, bis ich sie abnahm; dann bliebe immer noch die Schraube, gerade knapp von der Schmiere gehalten, aber bei den brüsken Bewegungen der Steuerung, die in den steilen Kurven unerlässlich waren, würde sie abspringen. Und dann würde der Major - auf dieser viel zu schmalen Straße, die nur zum raschen Vorrücken angelegt und dann mehr schlecht als recht ein wenig ausgebaut worden war, ohne einen

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