Alles hat seine Zeit
konnte es ihm schon ausmachen, mir dieses Geld zu geben? Dass ich die Quelle seiner Einkünfte kannte, ermächtigte mich, mich für seinen Mitwisser zu halten. Außerdem würde ich ihn an eine Ehrenschuld glauben lassen. In Italien würde ich den Betrag auf seinen Namen bei einer Bank, die er mir angeben sollte, hinterlegen. Ich würde beredt sein, begeistert, würde ihn bewundern bis an die Grenze meiner Kraft. Es war wirklich eine naive Hoffnung, genährt von der Hitze eines unerbittlichen Tages und von seinem Gesicht, das plötzlich der Müdigkeit nachgab, die das selbstauferlegte Spiel ihm bereitete.«Herr Major», sagte ich,«ich möchte Sie um ein Darlehen bitten.»
«Gern», erwiderte er,«wie viel brauchen Sie?»
Ich war gerade im Begriff, den Betrag zu nennen; er hatte die Hand schon in die Tasche gesteckt und einige Hunderterscheine hervorgezogen. Er faltete sie auseinander, als er sie mir hinhielt, fast als wolle er ihr geliebtes Rascheln bis zuallerletzt hören. Ich begriff, dass mein Ansinnen ihn überraschen, vielleicht seinen Unwillen oder sogar sein Misstrauen erregen würde. Da lachte ich, sagte, dass ich überhaupt nichts brauchte; mich habe nur die Neugier getrieben, ich wollte sehen, ob ich in ihm einen Freund hätte.
Beruhigt durch diese Worte, bestand der Major darauf, dass ich das Geld nehmen solle. Er wollte es mir in die Tasche stecken, und ich musste immer wieder sagen, dass ich nur Spaß gemacht hätte.«Was sollte ich wohl brauchen», sagte ich,«ich fahre in Urlaub.»Um ihn noch mehr zu beruhigen, zeigte ich ihm mein Geld. Erst jetzt steckte er seines wieder in die Tasche, immerhin froh darüber, mir seine Herzlichkeit bewiesen zu haben. Er zeigte sich großmütig, und während ich meine Bedrückung verbarg und ihn ansah (jetzt wusste ich, dass ich das Geld nie auftreiben würde), fuhr er mit seinen Reden fort. Ich hörte ihm nicht zu. Die im Hafen verankerten Schiffe brieten in der Sonne. Ich betrachtete sie mit tiefem Neid, ich beneidete die ermatteten Matrosen in ihren Kojen, die abreisen würden, ohne ihr
Glück zu schätzen, ja, es sogar verfluchten.«Du musst hier unten bleiben und vermodern», dachte ich. Und bis wann würde ich der Festnahme entgehen? Jetzt war der Major mein natürlicher Feind. Seine Sicherheit beleidigte mich.
Ich sah ihn wieder vor dem Haus der beiden Mädchen auf und ab spazieren mit seiner eitel würdevollen Haltung von damals, welche die in der Mittelmäßigkeit seines häuslichen Lebens angehäufte Lüsternheit so schlecht maskierte. Ich sah seine Schublade wieder, und die Gebärde, wie er unter dem Gewand des noch schlafenden Mädchens herumfingerte.
Er redete. Er war wirklich aufrichtig, als er, mit der Hand auf meine Schulter klopfend, zum Abschied zu mir sagte:«Was es auch sei, wenden Sie sich an mich.»Und während er dieses Anerbieten wiederholte, sperrte er seine Augen großmütig auf, und sein ganzes rötliches Gesicht, von kurzen Runzeln dicht durchfurcht, mit den geäderten Wangen, erhellte sich. Ich dachte:«Wir sind zwei Lebewesen aus sehr verschiedenen Tiergattungen. »Und gleichsam, ohne es zu wollen (welche Stimme gab mir die Worte ein?), sagte ich:«Ich möchte Sie bitten, dass Sie mich aufs Hochland mitnehmen, hier kommt man um vor Hitze, und ich langweile mich. Der Dampfer fährt erst in einer Woche.»
Das sei eine ausgezeichnete Idee, rief er aus; er sei glücklich, mit meiner Gesellschaft rechnen zu können. Und er teilte mir mit, dass er am nächsten Morgen nach D. abfahren wolle.
Die Ortschaft D. liegt jenseits des Flusses. Obschon ich eine instinktive Abneigung empfand gegen den Gedanken, wieder dorthin zu fahren, sagte ich, es würde mir Freude machen, diese Gegend ein letztes Mal wiederzusehen. Der Major lächelte: Ich sei unverbesserlich. Darauf teilte er mir die Abfahrtszeit und den Tag der Rückkehr nach Massaua mit; auch er wollte vor der Abreise des Dampfers zurückkommen.«Wir wechseln uns am Steuer ab», fügte er hinzu.
«Ja», erwiderte ich. Während er sprach, sah ich ihn wirklich wie im Traum an, überrascht von der Klarheit des Bildes, das in meinem Gehirn Form angenommen hatte und sich jetzt weit in der Ferne, hinter dem Rücken des Majors, scharf und deutlich abzeichnete. Ich sah etwas in eine Schlucht hinunterstürzen - wieder und wieder, gleichsam als sei ich unfähig, das Bild zu kontrollieren. Ich war noch hingerissen von diesem Bild, als der Major, im Zweifel über mein Schweigen, fragte:«Ist D.
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