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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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nicht«, sagte sie, und als sie den Ring entfernte, sah ich, dass er einen Schnitt rings um den kleinsten Finger des Helden gemacht hatte.
    »Wir werden aufbrechen«, sagte Großvater. »Es ist Zeit zu verabschieden«, sagte ich zu dem Helden. »Sag ihr noch einmal meinen Dank.« »Er sagt danke«, sagte ich. »Und ich danke Ihnen auch.« Jetzt weinte sie wieder. Sie weinte, als wir kamen, und sie weinte, als wir wegfuhren, aber als wir da waren, weinte sie nicht. »Darf ich Sie etwas fragen?«, fragte ich. »Natürlich«, sagte sie. »Ich bin Sascha, wie Sie wissen, und er ist Jonathan, und die Hündin ist Sammy Davis jr. jr., und er, Großvater, ist Alex. Wer sind Sie?« Sie war für einen Moment schweigsam. »Lista«, sagte sie dann. Und dann sagte sie: »Darf ich dich etwas fragen?« »Natürlich.« »Ist der Krieg vorbei?« »Ich verstehe nicht.« »Ich bin«, sagte sie oder begann sie zu sagen, aber da machte Großvater etwas, das ich nicht erwartete. Er nahm Augustines Hand in seine und gab ihr einen KUSS auf den Mund. Sie verdrehte sich weg von uns, zu dem Haus. »Ich muss hineingehen und nach meinem Kindchen sehen«, sagte sie. »Es wartet auf mich.«

    Noch immer war mein Großvater im Auftrag der WanklerGemeinde unterwegs, die so etwas wie ein ahnungsloser Betreuungsdienst für Witwen und alte Frauen geworden war, und machte mehrmals pro Woche Hausbesuche. Es gelang ihm, so viel Geld zu sparen, dass er an die Gründung einer Familie denken konnte, oder vielmehr dass seine Familie an die Gründung seiner eigenen Familie denken konnte.
    Es tut sehr gut, deine Arbeitsmoral zu sehen, sagte sein Vater eines Nachmittags zu ihm, als Safran gerade zur Witwe Golda R. gehen wollte, die in einem kleinen Ziegelhaus neben der Aufrechten Synagoge wohnte. Du bist nicht der faule Zigeunerjunge, für den wir dich gehalten haben.
    Wir sind sehr stolz auf dich, sagte seine Mutter, bekräftigte diese Worte aber nicht, wie er gehofft hatte, mit einem Kuss. Das ist wegen Vater, dachte er. Wenn er nicht hier wäre, hätte sie mich geküsst.
    Sein Vater trat zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und sagte, ohne zu wissen, was er da sagte: Mach weiter so.
    Golda verhängte alle Spiegel, bevor sie ihn liebte.
    Leah H., zweifache Witwe, zu der er (selbst nachdem er verheiratet war) dreimal pro Woche ging, bat nur darum, dass er ernsthaft war, wenn er ihren gealterten Körper berührte: dass er nicht über ihre hängenden Brüste und kaum noch behaarten Genitalien lachte, dass er nicht über die Krampfadern an ihren Beinen spottete, dass er nie vor ihrem Geruch zurückzuckte, der, wie sie wusste, an Rebfäule erinnerte.
    Rina S., Witwe des Schlots Kazwel L., des einzigen Schlots von Ardischt, der es geschafft hatte, seine Sucht zu überwinden, von den Rownoer Dächern herunterzuklettern und ein Leben zu ebener Erde zu führen - wie die Sonnenuhr auch er ein Opfer der Kreissäge in der Mühle -, biss, während sie sich liebten, in Safrans leblosen Arm, um ganz sicher zu sein, dass er nichts spürte.
    Elena N., Witwe des Bestattungsunternehmers Chaim N., hatte den Tod schon tausendmal durch ihre Kellertür eintreten sehen und doch nie eine Vorstellung davon gehabt, wie tief die Trauer sein würde, mit der sie leben musste, seitdem ein Hühnerknochen sich quer gelegt hatte und stecken geblieben war. Sie bat Safran, unter dem Bett mit ihr zu schlafen, in einem flachen, unterehelichen Grab, um den Schmerz ein wenig zu lindern, das Leben ein wenig leichter zu machen. Safran, mein Großvater, der Vater meiner Mutter, den ich nie kennen gelernt habe, erfüllte alle Wünsche.
    Doch bevor das Porträt zu schmeichelhaft ausfällt, sollte man anmerken, dass nur die Hälfte der Geliebten meines jugendlichen Großvaters Witwen waren. Er führte ein Doppelleben: Nicht nur Trauernde liebte er, sondern auch Frauen, die von der klammen Hand des Kummers nie berührt worden und die ihrem ersten Tod näher waren als ihrem zweiten. Er raubte zweiundfünfzig Jungfrauen die Unschuld, und zwar in den Positionen, die auf dem schmutzigen Kartenspiel abgebildet waren, das ihm der Freund, den er ständig im Theater sitzen ließ, geliehen hatte: Wie der einäugige Bube machte er es französisch mit Tali M., die ihre Zöpfe fest geflochten hatte und als Augenklappe eine gefaltete Kippa trug; von hinten nahm er Brandil W, die Herzzwei, die nur ein Herz hatte, und dazu ein sehr schwaches, weswegen sie Trippelschritte machte und eine starke Brille trug, und die vor

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