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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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ein Krimineller? Ich war nicht sehr verängstigt vor Kriminellen, weil sie keine erstklassigen Waffen haben und nicht viel tun können. Außer wenn der Kriminelle ein Polizist ist. Ich konnte hören, dass der Jemand noch immer zu mir kam. Ich machte schnellere Schritte. Der Jemand verfolgte mich schneller. Ich sah nicht noch einmal hin, um zu versuchen zu sehen, wer es war, denn ich wollte nicht, dass er wusste, dass ich seine Anwesenheit wusste. Es klang für meine Ohren, als ob er näher kam und mich bald erreichen würde, und darum fing ich an zu rennen.
    Dann hörte ich: »Sascha!« Ich beendete mein Rennen. »Sascha, bist du das?«
    Ich drehte um. Großvater stand gebückt mit den Händen auf dem Bauch. Ich konnte sehen, dass er sehr große Atemzüge machte. »Ich habe dich gesucht«, sagte er. Ich konnte nicht verstehen, wie er wissen konnte, dass er am Strand nach mir suchen musste. Wie ich dich informiert habe, weiß keiner, dass ich in der Nacht an den Strand gehe. »Ich bin hier«, sagte ich, was komisch klang, aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Er stand gerade und sagte: »Ich habe eine Bitte.«
    Das war das erste Mal, an das ich mich erinnern kann, dass Großvater irgendetwas zu mir sagte, ohne dass etwas zwischen ins war. Es war kein Vater, kein Held, keine Hündin, kein Fernseher, kein Essen zwischen uns. Nur wir. »Was ist?«, fragte ich ihn, denn ich wusste, dass er nicht bitten konnte, wenn ich ihm nicht half. »Ich muss dich um etwas bitten, aber du musst verstehen, dass ich dich nur bitte, es mir zu leihen, und du musst auch verstehen, dass du nein sagen kannst und ich nicht verletzt sein werde oder schlecht von dir denke.« »Was ist es denn?« Ich konnte mir nicht denken, dass ich etwas hatte, das Großvater haben wollte. Ich konnte mir nichts auf der Welt denken, das Großvater haben wollte.
    »Ich möchte mir dein Geld leihen«, sagte Großvater. Ich fühlte mich wirklich sehr schamvoll. Er hat nicht sein ganzes Leben lang geschuftet, damit er seinen Enkel um Geld fragen muss. »Ist gut«, sagte ich. Und ich hätte nicht mehr sagen sollen und mein »Ist gut« für alles sprechen lassen sollen, das ich jemals zu Großvater sagen wollte, und mein »Ist gut« alle meine Fragen sein lassen sollen und alle seine Antworten auf diese Fragen und alle meine Antworten auf seine Antworten. Aber das war nicht möglich. »Warum?«, fragte ich.
    »Warum was?«
    »Warum willst du mein Geld?«
    »Weil ich die nötige Menge nicht habe.«
    »Für was? Für was brauchst du Geld?«
    Er verdrehte seinen Kopf zum Wasser und sagte nichts. War das seine Antwort? Er bewegte den Fuß im Sand und machte einen Kreis.
    »Ich bin ganz sicher, dass ich sie finden kann«, sagte er. »Vier Tage. Vielleicht fünf. Aber es kann nicht länger als eine Woche dauern. Wir waren sehr nahe.«
    Ich hätte wieder »Ist gut« sagen sollen und sonst nichts. Ich hätte achten sollen, dass Großvater viel älter als ich und darum weiser ist, und wenn er das nicht ist, dann hat er auf jeden Fall nicht verdient, dass ich ihm Fragen stelle. Aber trotzdem sagte ich: »Nein. Wir waren nicht nahe.«
    »Doch«, sagte er. »Wir waren nahe.«
    »Nein. Wir waren nicht fünf Tage entfernt. Wir waren fünfzig Jahre entfernt.«
    »Es ist etwas, das ich tun muss.«
    »Warum?«
    »Das würdest du nicht verstehen.«
    »Doch. Ich verstehe es.«
    »Nein, das könntest du nicht.«
    »Herschel?«
    Er machte noch einen Kreis mit dem Fuß.
    »Dann nimm mich mit«, sagte ich. Ich hatte gar nicht geabsich-tigt, das zu sagen.
    »Nein«, sagte er.
    Ich wollte noch mal »Dann nimm mich mit« sagen, aber ich wusste, dass er noch mal »Nein« gesagt hätte, und ich glaube nicht, dass ich das würde hören können, ohne zu weinen, und ich kann vor Großvaters Augen nicht weinen.
    »Es ist nicht nötig, dass du es jetzt entscheidest«, sagte er. »Ich habe nicht geglaubt, dass du es schnell entscheiden würdest. Ich glaube, dass du nein sagst.«
    »Warum glaubst du, dass ich nein sage?«
    »Weil du es nicht verstehst.«
    »Ich verstehe es aber.«
    »Nein, du verstehst es nicht.«
    »Es ist möglich, dass ich ja sage.«
    »Ich werde dir alles von mir geben, was du willst. Es gehört dir, bis ich dir das Geld zurückgegeben habe, und das ist bald.«
    »Nimm mich mit«, sagte ich, und wieder hatte ich nicht geab-sichtigt, das zu sagen, aber es löste sich aus meinem Mund, wie die Dinge sich von Trachims Wagen gelöst haben.
    »Nein«, sagte er.
    »Bitte«,

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