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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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denn ich war sicher, dass er mich ansah. Also sah ich Großvater an, der das Foto untersuchte, obwohl ich sicher bin, er konnte spüren, dass ich ihn ansah.
    »Genau wie ich«, sagte ich. »Er hat es auch wahrgenommen«, sagte ich über Jonathan, weil ich mit dieser Findung nicht allein sein wollte.
    (Hier ist es fast zu erschreckend, um weiterzuschreiben. Ich habe das schon so viele Male geschrieben und die Teile verbessert, die du verbessert haben wolltest, und mehr Witze und Erfindungen gemacht und geschrieben, als ob ich du wäre, aber jedes Mal, wenn ich versuche fortzufahren, zittert meine Hand so, dass ich den Stift nicht halten kann. Tu du es für mich. Bitte. Die Geschichte gehört jetzt dir.)
    Großvater versteckte sein Gesicht hinter dem Foto.
    (Und das kommt mir nicht so feige vor, Jonathan. Wir hätten unser Gesicht auch versteckt. Wirklich, ich bin sicher, das hätten wir getan.)
    »Die Welt ist doch sehr klein«, sagte er.
    (Du erinnerst dich, dass er in diesem Moment lachte, aber das kann ich nicht in die Geschichte schreiben.)
    »Er sieht so sehr aus wie ich«, sagte ich.
    (Und hier streckte er die Hände unter den Tisch, wie du dich erinnerst, aber das ist etwas, das ihn schwach erscheinen lässt, und ist es nicht genug, dass wir das alles überhaupt aufschreiben?)
    »Wie eine Mischung aus deinem Vater, deiner Mutter, Breschnew und dir selbst.«
    (Es war nicht falsch, hier einen Witz zu machen. Es war richtig.)
    Ich lächelte.
    »Was meinst du, wer das ist?«, fragte ich ihn.
    »Was meinst du, wer das ist?«, fragte er mich.
    »Ich weiß es nicht.« »Du brauchst mir keine Nicht-Wahrheiten zu erzählen, Sascha. Ich bin kein Kind mehr.«
    (Aber ich tue es. Das ist etwas, das du nicht verstehst. Ich erzähle Nicht-Wahrheiten, um dich zu beschützen. Darum versuche ich auch so stark, ein witziger Mensch zu sein. Alles nur, um dich zu beschützen. Ich existiere für den Fall, dass du beschützt werden musst.)
    »Ich verstehe nicht«, sagte ich. (Ich verstehe.)
    »Du verstehst nicht?«, fragte er. (Du verstehst.)
    »Wo ist das Foto gemacht worden?«, fragte ich. (Es muss eine Erklärung geben.)
    »In Kolki.«
    »Wo du hergekommen bist?« (Du hast immer gesagt Odessa... Sich in Odessa zu verlieben...)
    »Ja. Vor dem Krieg.« (So sind die Dinge. So sind die Dinge in Wirklichkeit.)
    »Und Jonathans Großmutter?«
    »Ich kenne ihren Namen nicht und will ihn auch nicht wissen.«
    (Ich muss dich informieren, Jonathan, dass ich ein sehr trauriger Mensch bin. Ich glaube, ich bin immer traurig. Vielleicht bedeutet das, dass ich gar nicht traurig bin, denn Traurigkeit ist etwas, das tiefer ist als der normale Zustand, und ich bin immer gleich. Vielleicht bin ich also der einzige Mensch auf der Welt, der nie traurig wird. Vielleicht habe ich also Glück.)
    »Ich bin kein schlechter Mensch«, sagte er. »Ich bin ein guter Mensch, der in einer schlechten Zeit gelebt hat.«
    »Das weiß ich«, sagte ich. (Selbst wenn du ein schlechter Mensch warst, weiß ich, dass du ein guter Mensch bist.)
    »Du musst ihm das alles so sagen, wie ich es dir sage«, sagte er, und das erstaunte mich sehr, aber ich fragte nicht, warum. Ich fragte gar nichts, sondern tat das, was er befohlen hatte. Jonathan öffnete sein Tagebuch und begann zu schreiben. Er schrieb jedes Wort, das ich für ihn übersetzte: »Alles, was ich getan habe, habe ich getan, weil ich dachte, es wäre das Richtige.«
    »Alles, was er getan hat, hat er getan, weil er dachte, es wäre das Richtige«, übersetzte ich.
    »Ich bin kein Held, das stimmt.«
    »Er ist kein Held.«
    »Aber ich bin auch kein schlechter Mensch.«
    »Aber er ist kein schlechter Mensch.«
    »Die Frau auf dem Foto ist deine Großmutter. Sie hat deinen Vater auf dem Arm. Der Mann neben mir war Herschel, unser bester Freund.«
    »Die Frau auf dem Foto ist meine Großmutter. Sie hat meinen Vater auf dem Arm. Der Mann neben meinem Großvater war Herschel, sein bester Freund.«
    »Herschel trägt ein Käppchen, weil er ein Jude war.«
    »Herschel war ein Jude.«
    »Und er war mein bester Freund.«
    »Und er war sein bester Freund.«
    »Und ich habe ihn ermordet.«

    Als sie zum letzten Mal miteinander schliefen, sieben Monate bevor sie sich umbrachte und er eine andere heiratete, fragte das Zigeunermädchen meinen Großvater, wie er seine Bücher geordnet habe.
    Sie war die Einzige, zu der er zurückkehrte, ohne dass sie ihn darum bitten musste. Sie trafen sich auf dem Markt, wo er mit Vorfreude und

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