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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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hat er sich entschieden?«
    »Für was hast du dich entschieden?«
    »Als sie unsere Stadt einnahmen - «
    »Kolki?«
    »Ja, aber sag ihm das nicht. Es gibt keine Begründigung, es ihm zu sagen.«
    »Wir könnten morgen hinfahren.«
    »Nein.«
    »Vielleicht wäre es gut.«
    »Nein«, sagte er. »Meine Gespenster sind nicht dort.«
    (Du hast Gespenster?) (Natürlich habe ich Gespenster.)
    (Wie sind deine Gespenster?)
    (Sie sind auf der Innenseite meiner Augenlider.)
    (Das ist der Ort, wo auch meine Gespenster wohnen.)
    (Du hast Gespenster?)
    (Natürlich habe ich Gespenster.)
    (Aber du bist ein Kind.)
    (Ich bin kein Kind.)
    (Aber du kennst die Liebe noch nicht.)
    (Es sind meine Gespenster, die Zwischenräume zwischen der Liebe.)
    »Du könntest es uns enthüllen«, sagte ich. »Du könntest uns dahin bringen, wo du einmal gelebt hast und wo seine Großmutter einmal gelebt hat.«
    »Es hat keinen Zweck«, sagte er. »Diese Menschen bedeuten nichts für mich.«
    »Seine Großmutter.«
    »Ich will ihren Namen gar nicht wissen.«
    »Er sagt, dass es keinen Zweck hat, zu der Stadt zurückzukehren, wo er früher gelebt hat«, sagte ich zu Jonathan. »Es bedeutet ihm nichts.«
    »Warum ist er fortgegangen?«
    »Warum bist du fortgegangen?«
    »Weil ich nicht wollte, dass dein Vater so nah am Tod aufwächst. Ich wollte nicht, dass er davon weiß und damit leben muss. Darum habe ich ihm nie gesagt, was passiert ist. Ich wollte so sehr, dass er ein gutes Leben lebt, ohne Tod und ohne Entscheidungen und ohne Scham. Aber ich war kein guter Vater, das muss ich dir sagen. Ich war der schlechteste Vater. Ich sehnte, ihn von allem, was schlecht war, zu entfernen, aber anstelle davon habe ich ihm Schlechtigkeit über Schlechtigkeit gegeben. Ein Vater ist immer verantwortlich dafür, wie sein Sohn ist. Das musst du verstehen.«
    »Ich verstehe nicht. Ich verstehe nichts von alldem. Ich verstehe nicht, warum du aus Kolki bist und warum ich das nicht gewusst habe. Ich verstehe nicht, warum du auf diese Reise mitgekommen bist, wo du doch wusstest, wie nah wir Kolki kommen würden. Ich verstehe nicht, welches deine Gespenster sind. Ich verstehe nicht, wie ein Bild von dir in Augustines Schachtel gekommen ist.«
    (Weißt du noch, was er als Nächstes tat, Jonathan? Er untersuchte das Foto noch einmal, und dann legte er es wieder auf den Tisch, und dann sagte er: Herschel war ein guter Mensch, und ich auch, und darum ist es nicht richtig, was passiert ist, nichts davon. Und dann fragte ich ihn: Was? Was ist passiert? Du wirst dich erinnern, dass er das Foto wieder in die Schachtel tat und uns die Geschichte erzählte. Es war genau so. Er tat das Foto wieder in die Schachtel und erzählte uns die Geschichte. Er sah uns nicht ein einziges Mal nicht in die Augen, und er hielt seine Hände nicht ein einziges Mal unter den Tisch. Ich habe Herschel ermordet, sagte er. Was ich getan habe, war jedenfalls so, als ob ich ihn ermordet hätte. Wie meinst du das?, fragte ich ihn, weil das, was er gesagt hatte, so etwas Starkes war. Nein, das stimmt nicht. Herschel wäre auch ohne mich ermordet worden, aber es ist trotzdem, als ob ich ihn ermordet hätte. Was ist passiert?, fragte ich ihn. Sie kamen in der dunkelsten Zeit der Nacht. Sie kamen von einer anderen Stadt, und sie gingen danach zu der nächsten Stadt. Sie wussten, was sie taten, sie waren so logisch. Ich erinnere mich mit großer Präzision an das Gefühl, wie das Bett zitterte, als die Panzer kamen. Was ist das? Was ist das?, fragte Großmutter. Ich stand auf und beobachtete aus dem Fenster. Was hast du gesehen? Ich sah vier Panzer, und ich kann mich genau an alle Einzelheiten von ihnen erinnern. Es waren vier grüne Panzer, und neben ihnen gingen Männer. Diese Männer hatten Gewehre, und sie zielten damit auf unsere Fenster und Türen, für den Fall, dass einer weglaufen wollte. Es war dunkel, aber ich konnte es trotzdem sehen. Hattest du Angst? Ich hatte Angst, obwohl ich wusste, dass ich nicht einer war, den sie wollten. Woher wusstest du das? Wir wussten Bescheid. Jeder wusste es. Herschel wusste es. Wir glaubten nicht, dass es uns passieren würde. Ich habe dir ja gesagt: Wir glaubten an Dinge, wir waren so dumm. Und dann? Und dann sagte ich zu deiner Großmutter, dass sie das Baby, deinen Vater, nehmen und in den Keller gehen und kein Geräusch machen, aber auch nicht übermächtige Angst haben sollte, denn wir waren ja nicht die, die sie wollten. Und dann? Und dann hielten alle Panzer

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