Alles ist erleuchtet
dass sie es Ihrer Mutter gegeben hat?« »Oh, ich verstehe. Sie hatte ihre Gründe.« »Welche Begründigungen waren das?« »Ich weiß es nicht.« »Haben Sie sich nach der Schrift auf der Hinterseite erkundigt?« »Nein. Wir konnten sie nichts über das Foto fragen.« »Warum nicht?« »Sie hatte das Foto fünfund-funfzigjahre lang. Wenn sie uns irgendetwas darüber hätte sagen wollen, hätte sie es längst getan.« »Jetzt verstehe ich, was Sie sagen.« »Ich konnte ihr nicht mal sagen, dass ich in die Ukraine fahre. Sie denkt, ich bin noch immer in Prag.« »Wie kommt das?« »Sie hat schlechte Erinnerungen an die Ukraine. Ihr Schtetl, Kolki, ist nur ein paar Kilometer von Trachimbrod entfernt. Da will ich auch hinfahren. Aber ihre ganze Familie ist umgebracht worden - Mutter, Vater, Schwestern, Großeltern.« »Hat ein Ukrainer Ihre Großmutter gerettet?« »Nein, sie ist vor dem Krieg geflohen. Sie war jung und hat ihre Familie zurückgelassen.« Sie hat ihre Familie zurückgelassen. Ich schrieb mir das in den Kopf. »Es verstaunt mich, dass niemand ihre Familie gerettet hat«, sagte ich. »Das ist nicht erstaunlich. Damals waren die Ukrainer schrecklich zu den Juden. Fast so schlimm wie die Nazis. Damals war alles anders. Als der Krieg anfing, wollten viele Juden zu den Nazis gehen, damit die sie vor den Ukrainern beschützten.« »Das ist nicht wahrheitlich.« »Doch.« »Ich kann nicht glauben, was Sie sagen.« »Dann lesen Sie es in den Geschichtsbüchern nach.« »Das steht nicht in den Geschichtsbüchern.« »Aber so war es. Die Ukrainer waren bekannt dafür, dass sie schrecklich zu den Juden waren. Die Polen auch. Ich will Sie nicht beleidigen. Das hat ja nichts mit Ihnen zu tun. Das alles ist fünfzig Jahre her.« »Ich glaube, dass Sie in einem Irrtum sind«, sagte ich zu dem Helden. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« »Dann sagen Sie, dass Sie in einem Irrtum sind.« »Das kann ich nicht.« »Aber das müssen Sie.«
»Hier sind meine Landkarten«, sagte er und grub ein paar Stücke Papier aus seiner Tasche. Er zeigte auf eins, das Sammy Davis jr. jr. nass gemacht hatte. Mit der Zunge, hoffte ich. »Das ist Trachimbrod«, sagte er. »Auf manchen Landkarten heißt es auch Sofiowka. Das ist Lutsk. Das ist Kolki. Es ist eine alte Karte. Die meisten Orte, die wir suchen, sind auf neuen Karten nicht eingezeichnet. Hier«, sagte er und gab sie mir. »Damit Sie sehen können, wohin wir wollen. Das ist alles, was ich habe: diese Landkarten und das Foto. Viel ist es nicht.« »Ich kann Ihnen versprechen, dass wir diese Augustine finden«, sagte ich. Ich konnte sehen, dass das den Helden besänftigte. Es besänftigte mich auch. »Großvater«, sagte ich und verdrehte mich wieder zum Vordersitz. Ich erklärte ihm alles, was der Held gerade geäußert hatte. Ich informierte ihn über Augustine, die Landkarten und die Großmutter des Helden. »Kolki?«, fragte er. »Kolki«, sagte ich. Ich passte auf, dass ich kein Detail ausließ, und erfand noch ein paar Details dazu, damit Großvater die Geschichte besser verstand. Ich konnte wahrnehmen, dass diese Geschichte Großvater zu einem sehr melancholischen Menschen machte. »Augustine«, sagte er und schubste Sammy Davis jr. jr. zu mir. Er untersuchte das Foto, während ich das Steuerrad festhielt. Er hielt das Foto nah an sein Gesicht, als wenn er es riechen oder mit den Augen berühren wollte. »Augustine.« »Sie ist diejenige, die wir suchen«, sagte ich. Er verdrehte den Kopf hierhin und dorthin. »Wir werden sie finden«, sagte er. »Ich weiß«, sagte ich. Aber ich wusste es nicht, und Großvater wusste es auch nicht.
Als wir das Hotel erreichten, kam schon der Beginn der Dunkelheit. »Sie müssen im Wagen bleiben«, sagte ich zu dem Helden, denn der Besitzer des Hotels würde erkennen, dass der Held ein Amerikaner ist, und Vater hatte mir gesagt, dass sie Amerikaner im Übermaß bezahlen lassen. »Warum?«, fragte er. Ich sagte ihm, warum. »Woher sollen sie wissen, dass ich ein Amerikaner bin?« »Sag ihm, dass er im Wagen bleiben soll«, sagte Großvater, »sonst rnuss er zweifach bezahlen.« »Ich bemühe mich«, sagte ich. »Ich möchte mit euch hineingehen«, sagte der Held, »um mir den Laden mal anzusehen.« »Den Laden?« »Das Hotel.« »Sie können sich das Hotel ansehen, wenn ich die Zimmer habe.« »Ich würde es lieber jetzt tun«, sagte er, und ich muss zugestehen, dass er anfing, mich zu nerven. »Was zum Donner redet er?«, fragte
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