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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Vertrauen, die gierige Kindheitserregtheit und den Selbsthass –, mit diesem Blick also, der sich prall im grünen magischen Auge von Daves Fernseher spiegelt, sticht sie sich den Dexter-Pfeil unglücklicherweise bis zum Schaft durch die eigene sahnige, oft geküsste Kehle. Sie stürzt und liegt da, siegreich und durchbohrt, ihr Becken hebt sich, und ihr Leben bildet eine farbenfrohe Fontäne um den unverlierbaren Pfeilschaft des Jungen.
    So weit ist das die gute Erzählung eines Workshop-Studenten, der seltene Fall eines Texts, der seine Logik nur einführt, um sie durchzuführen; gleichzeitig hat er das Je ne sais quoi eines Schlags in die Magengrube, eine hochwillkommene Abwechslung gegenüber den schrecklichen Schlaumeiererzählungen – oder, noch schrecklicher, den modisch-modernen minimalistischen Etüden, die pro forma durchexerzieren, wie sie auf ihre Epiphanie zuschlurfen. Was für Dr. Ambrose und Marks Kollegen im E.   C.   T.-Seminar »am wenigsten funktioniert«, ist der Teil, der erzählt, warum Dave anschließend festgenommen, inhaftiert, verhört und wegen Mordes an L— zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Diese Passage ist verschwatzt und so subtil wie ein Ziegelstein, wesentlich ist aber dieses Bild: L— liegt da verdreht, durchbohrt, sich krümmend und rot vor dem stummen Sony in Daves Mehrbettzimmer, verliert mit jedem Herzschlag Blut, von eigener Hand durchbohrt mit dem Hightechpfeil, der Dave allein den dritten Platz verschafft hatte. Sie ist eindeutig dem Tode nah, sieht Dave flehend und mit dem aus der blinden Treue wahrer Liebe geborenen Vertrauen an und wartet darauf, dass erden einfachsten menschlichen Instinkten folgt, zu ihr springt und den bösen Pfeil herauszieht. Dave ist aber plötzlich erwachsen geworden und hört kein Instinktglöckchen läuten; er spürt nur die quasi betäubte optische Objektivität, die einen geborenen Bogenschützen reifen lässt. Er lässt sich kostbare Zeit, das große Bild in sich aufzunehmen. Er denkt weise voraus. Er sieht, dass L— knirschend auf die Schotterstraße des Todes eingebogen ist, dass sie nicht mehr rechtzeitig gerettet werden kann (eine Druckmanschette wäre hier offensichtlich eher unpraktisch); fürchtet, dass das kollektive Ohr ihrer Nachbarschaft den lauten Zoff mitbekommen hat, den er nicht angefangen hat; folgert, dass das Öl seiner Fingerkuppen forensische Spuren auf dem Dexter-Pfeil hinterlassen wird, wenn er den Aluminiumschaft berührt, um die Waffe herauszuziehen; und dann wird seine Geliebte sowieso sterben, und die ganze Angelegenheit kann von anderen als genau das interpretiert werden, wonach sie aussieht. Verbrechen aus Leidenschaft. Vorsätzlicher Mord. Dave leckt sich geistesabwesend die Lippen und versucht, die Interpretation zu antizipieren. Narrativ gesprochen, dauert das ewig. L—, die ihren Geliebten keine Sekunde aus den Augen gelassen hat, stirbt schließlich zur großen Erleichterung aller Beteiligten.
    Der Workshop hat zweierlei einzuwenden. Der erste Einwand betrifft die Behauptung der Erzählung, Daves bewusste Vermeidung von Fingerabdrücken sei vergebens, weil sich die Ölspuren seiner Fingerkuppen eh schon auf dem Pfeil fänden – schließlich hätte er diesen speziellen Pfeil beim Wettkampf desselben Tages schon dreimal befiedert, gehalten, eingelegt, eingenockt und abgeschossen. Da aber auf S. 8 von Marks Manuskript explizit und wirklichkeitsgetreu die dünnen Lederhandschuhe aller ernsthaften Bogenschützen erwähnt werden, hängt die Glaubwürdigkeit von Daves Fingerabdrücken auf dem Pfeilschaft von dem Wissen ab, dass einBogenschützenhandschuh nur Handgelenk und Handfläche bedeckt (um sie vor der explosiven Reaktion des Schafts auf den Linksdrall des Bogens zu schützen): Die Blöße der Fingerspitzen eines Bogenschützen, so Dr. Ambroses nachvollziehbare Argumentation, ist keine Information, die Mark im Arsenal eines durchschnittlichen Lesers durchschnittlicher Erzählungen voraussetzen kann. Wenn man Fiktionen schreibt, tischt man im Grunde doch bloß Lügen auf, erklärt er uns im Seminar; und die Psychologie des Lesens diktiert, dass wir einem Autor nur das abzukaufen bereit sind, was zu dem passt, was wir unbewusst schon glauben.
    Schwächer noch, konstatiert Ambrose (allerdings taktvoll und aufmunternd), ist die Behauptung der Erzählung, die Untersuchung des Gerichtsmediziners von Tidewater ergebe, dass die Todesursache der horizontal daliegenden L— mit dem bösen Schaft im Hals

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