Alles ist mir nicht genug
blätterte sie
durch einen Stapel von Heftern auf ihrem Tisch, bis sie den mit Blairs Namen
fand. Sie schürzte die dünnen Lippen und tupfte sich die Nase mit einem
Papiertaschentuch ab. Ms Glos bekam regelmäßig Nasenbluten und stand bei den
Schülerinnen im Verdacht, an einer seltenen, extrem ansteckenden Krankheit zu
leiden. Die Mädchen hatten alle Panik davor, die Broschüren anzufassen, die Ms
Glos verteilte.
Blair zog
erwartungsvoll die dunklen, sorgfältig gezupften Brauen hoch. »Und?«
Ms Glos
blickte von den Unterlagen auf. Ihre mausbraunen Haare bogen sich an den
Spitzen so weit nach oben, dass sie gerade ihr Kinn berührten. Die Frisur sah
jedes Mal, wenn Blair bei Ms Glos war, absolut identisch aus und war eindeutig
eine Perücke. »Hm, also, wenn du wirklich nach Yale möchtest, würde ich dir
vorschlagen, das Ganze noch einmal völlig zu überarbeiten.«
Es dauerte
einen Moment, bis ihre Worte bei Blair angekommen waren. »Aber...«
Ms Glos schlug
Blairs Mappe auf und pochte mit einem langen vergilbten Fingernagel auf die
Seiten. »Das ist ein einwandfreier Aufsatz über Audrey Hepburns Leben«, stellte
sie fest. »Aber er sagt rein gar nichts über dich aus. Du musst
dem Aufnahmekomitee in Yale beweisen, dass du flüssig schreiben, kreativ denken
und gewöhnliche Fragen außergewöhnlich beantworten kannst.« Sie streckte Blair
den Essay entgegen.
Blair nahm ihr
die sechs zusammengehefteten Seiten mit spitzen Fingern ab. Ihre Schläfen
pochten. Sie hätte Ms Glos liebend gern geraten, sich zu verpissen und sich bei
der Gelegenheit auch gleich eine neue Perücke zuzulegen, aber sie wusste, dass
die Studienberaterin ihren Job hervorragend machte. Falls ihr überhaupt jemand
helfen konnte, nach Yale zu kommen, dann Ms Glos.
»Okay«, sagte
sie frostig. »Dann setze ich mich noch mal dran.«
»Na also! Und
versuch es diesmal etwas raffinierter anzugehen. Zeig ihnen, dass du Audrey Hepburn bewunderst, statt es ihnen einfach nur platt mitzuteilen.«
Blair nickte,
stand auf und strich sich den Rock glatt. Sie versuchte, trotz dieser
ungeheuerlichen Beleidigung die Fassung zu bewahren, was Audrey fraglos
gelungen wäre. »Schöne Weihnachten«, sagte sie höflich.
Ms Glos
betupfte sich wieder die Nase mit dem Taschentuch und lächelte. »Dir auch
fröhliche Weihnachten, Blair.«
Blair zog die
Tür hinter sich zu, stöhnte auf und warf das zweifellos mit Krankheitserregern
verseuchte Manuskript im Flur in den Blechmülleimer. So viel also zu ihrem
spaßigen Strandurlaub auf St. Barts. Serena würde sich allein amüsieren
müssen, weil Blair nämlich ihren gesamten Scheißurlaub drinnen vor dem Computer
verbringen würde, um einen neuen Bewerbungsessay zu schreiben. Am liebsten
hätte sie »Jetzt nehmt mich verdammt noch mal endlich auf!« auf einen Zettel
gekritzelt und ihn nach Yale geschickt, aber in Anbetracht der Tatsache, dass
sie dem Typen, der das Bewerbungsgespräch mit ihr geführt hatte, ihre
komplette Lebensgeschichte erzählt und ihn dann geküsst hatte, war das
vermutlich keine so tolle Idee.
Auf dem Weg
nach oben in den dritten Stock, wo sie ihren himmelblauen Marc-Jacobs-Mantel
aus ihrem Spind holen wollte, traf sie auf Kati Farkas und Isabel Coates, die
gerade herunterkamen.
»Na, wie war
Französisch?«, erkundigte sich Kati. Heute Morgen auf dem Schulweg hatte es
genieselt, weshalb sich ihre blonden Haare ganz fürchterlich kräuselten. Blair
fand, Kati sah aus wie ein Pudel nach einem Blitzeinschlag.
»Total
behämmert«, sagte sie achselzuckend und schüttelte sich ungeduldig die Haare
aus dem Gesicht. Sie hatte das Gerede über Noten und Schule und Prüfungen so
satt, sie hätte kotzen können.
Isabel kämmte
sich mit den Fingern durch ihren dunklen Pferdeschwanz und schob trotzig das
Kinn vor. Blair wurde immer so überheblich, wenn es um Schule ging. »Vielleicht
klingt es ja blöd, aber ich war gestern bei Mr Nobel im Re- petitorium, und ich
glaub, das hat mir wirklich was gebracht. Ich fand den Geschichtstest relativ
simpel.«
Und du bist
mehr als relativ nervig, dachte Blair. Isabels Vater war ein berühmter
Schauspieler, der häufig für Sprecherjobs eingesetzt wurde und sich dafür
einen künstlichen britischen Akzent zugelegt hatte. Isabel versuchte ihm nachzueifern
und sagte deshalb öfter Sachen wie »relativ simpel« statt »total behämmert«,
was sich, na ja, eben total behämmert anhörte.
Kati nickte.
»Es waren auch gar nicht viele Fragen. Aber hast du
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