Alles kam ganz anders
enormes Verantwortungsgefühl bekommen?“
Da mischte ich mich ein.
„Sagen wir, daß ich zielbewußt geworden bin. Ich weiß, daß ich wie eine Rasende für ein einziges Ziel arbeite!“
„Nun ja. das ist jedenfalls mit Verantwortungsgefühl sehr nahe verwandt“, meinte Simone. „Überhaupt finde ich. daß wir alle hier im Haus außerordentlich fleißig sind!“
Da konnte sie recht haben. Mama saß von morgens bis abends über ihrer Näherei, ich paukte nach Leibeskräften, und Simone ermöglichte es uns. beim Nähen und Pauken zu bleiben, indem sie den ganzen Haushalt schmiß!
Papa war auch vollkommen ausgelastet. Er fuhr öfter nach Frankfurt, und wenn er zu Hause war. war er schweigsamer als sonst. Er hatte bestimmt sehr viel im Kopf. Dann mußte er für ein paar Wochen losfahren, um einen Frühlingsfilm im Donaudelta zu drehen.
Und ich las und las. ich schrieb, und ich rechnete. Oft war ich müde, ab und zu war ich in Versuchung, dasselbe zu denken wie früher, in der Zeit, als ich meine Schularbeiten auf die leichte Schulter nahm: „Ich wurde ja gestern aufgerufen, und vor zwei Tagen auch, heute wird mich kein Mensch nach englischen Wörtern fragen…“ Aber mein besseres Ich, oder sagen wir mein Ehrgeiz, siegte immer. Wenn ich die geringste Lücke im Pensum hatte, könnte das mein Abitur gefährden! Ich würde riskieren, bei dem so wichtigen Abitur gerade da gefragt zu werden, wo ich eine Lücke hatte! Also büffelte ich weiter.
*
Gerade während der Zeit, als Papa bei seinen Vögeln im Donaudelta war. wurde Kater Anton krank. Seine Hinterpfoten waren gelähmt. Er lag in seinem Körbchen und sah mich mit todtraurigen Augen irgendwie so flehend an.
Ich wußte, was ich jetzt tun mußte. Ich mußte es. weil ich das treue alte Tier so lieb hatte, und weil ich das Beste für ihn tun wollte.
„Ich nehme es dir ab. Lillepus“. sagte Mama. „Ich fahre mit ihm zum Tierarzt.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Mama. Ich fahre selbst. Das heißt, wenn du mich hinfahren willst, wäre es sehr lieb von dir. aber ich bleibe bei Anton, bis alles vorbei ist.“
So geschah es auch.
Dr. Sager untersuchte Anton, dann sah er mich an: „Ja. Elaine, nun ist wohl der Augenblick gekommen. Du weißt, was ich dir damals sagte…“
„Ja. ich weiß es. Deswegen komme ich.“
„Geh ins Wartezimmer. Elaine. Ich rufe dich, wenn es getan ist.“
„Nein. Herr Doktor. Ich bleibe hier.“
„Kannst du das? Kannst du ruhig bleiben?“
„Ja.“
Als Dr. Sager die Betäubungsspritze vorbereitete, stand ich neben dem Untersuchungstisch und streichelte Anton und plauderte mit ihm. wie ich es immer beim Tierarzt getan hatte.
„So, Anton, jetzt wird alles gut, Onkel Doktor hilft dir. und bald tut es nicht mehr weh. Mein braver, guter Anton. Siehst du, Frauchen ist bei dir…“ Ich mußte mich gewaltig beherrschen, damit meine Stimme alltäglich klang. Natürlich verstand Anton nicht die Worte, aber ein feines Tierohr hört unendlich viel aus Herrchens oder Frauchens Stimme heraus.
Er zuckte eine Sekunde zusammen, als er die Betäubungsspritze bekam. Dann war er ganz ruhig, schloß die Augen, der Körper entspannte sich – und dann lag er da in tiefer Bewußtlosigkeit und spürte nicht mehr die letzte, entscheidende Spritze direkt ins Herz.
Jetzt erst kamen mir die Tränen.
„Du warst sehr tapfer. Elaine“, sagte Dr. Sager. „Und jetzt darfst du ruhig weinen. Das ist dein gutes Recht.“
Ich legte meinen toten Kater in die Transportkiste und nahm ihn mit nach Hause. Er sollte sein Grab im Garten kriegen, neben seinem Freund Barry.
Wie oft würde ich dies selbst tun müssen – kranken Tieren die letzte Hilfeleistung zu geben? Wie oft würde ich so ein kleines Leben auslöschen müssen?
Das würde das schwerste für mich werden! Ich würde auch weinende Frauchen trösten müssen. Eins wußte ich: für solche Tränen würde ich immer Verständnis haben!
Bisken ging mehrere Tage ruhelos umher und suchte Anton. Er piepste und war unglücklich, holte Antons Spielzeug, trug es mit in die Küche, in mein Zimmer, in den Garten – überallhin, wo er Anton immer gesucht hatte, um mit ihm zu spielen.
Es dauerte eine Woche, bis er wieder zur Ruhe kam und sich mit Felix begnügte.
Wie hat doch so ein kleines Tier ein treues Herz!
Dann kam der Tag. an dem Simone uns verließ. Sie hinterließ einen großen Leerraum, wir hatten sie alle so sehr ins Herz geschlossen. Ihr erster Brief war an Mama und mich
Weitere Kostenlose Bücher