Alles kam ganz anders
Familien-Adventstorten, nach Grand-mères verschwenderischem Rezept, mit Walnüssen, Marzipan, kandierten Früchten und der Himmel weiß was noch. Das Wasser lief mir im Mund zusammen.
„Nicht anrühren, Elaine!“ kam die mahnende mütterliche Stimme. „Sie sind nicht für uns!“
„Für wen denn?“
„Eine für Dr. Sager und eine für Studienrat Buchental.“
„Ach, Mamachen, du bist ja ein Schatz! Ein Dank für den Tonbandunterricht, nicht wahr? Hast du ihnen auch geschrieben?“
„Klar. Daß ich mich in dieser Form dafür bedanke, daß sie meinem Kind so großartig geholfen haben, deswegen möchte ich ihren Kindern auch eine kleine Freude machen.“
„Na, die werden sich aber auch mächtig freuen, jedenfalls wenn sie den ersten Bissen intus haben!“
„Jetzt werde ich die Torten einpacken. Dortes Bruder hat versprochen, sie morgen nach Braunschweig mitzunehmen und sie bei den beiden Privatwohnungen abzugeben. Ja, und aus den Resten habe ich eine ganz kleine Torte auch für uns zusammengeschustert, die gibt es heute zum Kaffee!“
Zwei Tage später kam ein Briefchen von Studienrat Buchental. „Mama las ihn lächelnd, dann reichte sie ihn mir:
Sehr verehrte gnädige Frau! Ganz herzlich danke ich Ihnen für Ihre wunderbare Sendung, auch im Namen meiner Familie. Die Kinder sind entzückt, so entzückt, daß meine Frau Ihre Wundertorte unter Verschluß hält, und pro Nase jeden Tag ein auf der Briefwaage abgewogenes Stück aushändigt!
Was ich für Elaine getan habe, war wirklich nicht der Rede wert, aber es freut mich sehr, daß die besprochenen Bänder ihr nützlich gewesen sind. Es ist eine Freude, einer so gewissenhaften und fleißigen Schülerin helfen zu können. Elaine hat ja das notgedrungen Versäumte sehr schön aufgeholt, und ist – so sagen auch meine Kollegen – eine der Besten ihrer Klasse, vielleicht sogar die Beste. Ich weiß, wie viel es ihr bedeutet, ein gutes Abitur zu machen, und es sieht so aus. als würde es ihr auch gelingen.“
Die Schlußgrüße las ich gar nicht. Ich fiel Mama um den Hals vor Freude.
Die Beste! Die Beste der Klasse!
Mama hatte mit Simone ausgemacht, daß sie auf jeden Fall bis Ende Januar bei uns blieb, nur mit einer kurzen Unterbrechung: sie wollte die Weihnachtstage bei ihrer Mutter verbringen und dann zurückkommen.
Die letzte Nacht vor Papas und Ingos Rückkehr konnte ich kaum schlafen. Ich wußte, jetzt saßen sie im Flugzeug – irgendwo würden sie eine Zwischenlandung machen, dann ging es weiter nach Frankfurt.
Dort, in dem großen Flughafen, hatten sie noch zwei Stunden Wartezeit – und dann kam nur noch der letzte kleine Hopser nach Hannover!
Nie in meinem Leben hatte ich mich auf etwas so gefreut, wie ich mich jetzt auf Ingos Rückkehr freute. Ja. natürlich auch auf Papas… aber ich gebe zu. daß ich vor allem an den Augenblick dachte, da ich Ingo die Arme um den Hals schlingen konnte!
Mama hatte ihre „Probefahrten“ gemacht, es war alles sehr gut gegangen, und sie hatte keine Bedenken, nach Hannover zu fahren.
Endlich, endlich war es soweit!
Ich rannte von der Schule zum Bahnhof, sprang in den Zug nach Hannover, und da waren Mama und Marcus schon auf dem Bahnsteig. In zwei Stunden sollte das Flugzeug landen, wir hatten reichlich Zeit.
„Weißt du was. Mama“, sagte ich. als wir in der Halle des Flughafens saßen. „Diese Minuten hier, die scheinen mir länger zu sein als all die Wochen zu Hause!“ Mama lächelte.
„Geht es dir auch so? Ich habe das Gefühl, daß die Uhrzeiger sich überhaupt nicht bewegen!“ Ich drückte Mamas Hand.
„Weißt du. was ich wünsche, Mama?“
„Daß Ingo heil und gesund zurückkommt!“
„Ja. das ist klar. Aber ich wünsche, daß ich. wenn ich in zwanzig Jahren so sitze und Ingo von einer Reise zurückerwarte, genauso ungeduldig und so voll Freude und so verliebt sein werde, wie du es jetzt bist!“
„Das wünsche ich dir auch. Kind. Diese unveränderte Liebe, die keine Alltagssorgen, keine kleinen Ärgernisse, keine Probleme töten können – ich glaube, die ist das größte Geschenk, das der liebe Gott einem machen kann!“
Da. endlich, kam die Stimme aus dem Lautsprecher. Das Flugzeug war gelandet.
„Marcus“, sagte Mama. „Du weißt, was ich dir gesagt habe?“
„Klar! Wir dürfen nicht erzählen, daß du die Arme gebrochen hast, denn Papa soll… er soll… o ja, jetzt weiß ich, er soll keinen Schrecken kriegen, und du wirst es später erzählen!“
„Richtig.
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