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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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von Bekanntschaften, als dass es für eine festliche Gesellschaft gereicht hätte.

Die Nebensonnen unter dem Horizont
    Wegener spürte, dass er auch hier in Graz dem Jammer seines Lebens nicht entkam. Inzwischen wusste er, was seiner Theorie fehlte, um Anerkennung zu finden: der Beweggrund. Selbst wenn seine Beschreibung der treibenden Kontinente zutraf, würde man ihm so lange keinen Glauben schenken, wie er keinen Anlass dafür nennen konnte. Anfangs hatte er sich gegen diese Einsicht gewehrt, einfach weil ihm die Ursache so unerheblich erschien. Ihm war es immer um Phänomene gegangen, nicht um die geheimen Mächte, die dahinterstehen mochten. Geheime Mächte erinnerten ihn an seinen Vater.
    Als ihm aber dämmerte, dass er anders kein Gehör finden würde, setzte er sich widerwillig daran, eine Ursache der Drift zu finden. Den Antrieb des Ganzen. Er tippte auf die Stärke der Gezeiten und rechnete gemeinsam mit Köppen nächtelang aus, zu welcher Kraft sich die Bewegungen von Wasser, Mond und kreiselnder Erde summierten. Und auch wenn es am Ende nicht ganz reichte, um die Kontinente in Bewegung zu versetzen, blieb Wegener bei dieser Annahme. Eine bessere hatte er nicht.
     
    Er trug nun immerzu einen kleinen Globus in der Tasche, um seine Überlegungen über Kontinentgestalt und die
Lage der Pole und Klimagürtel jederzeit daran prüfen zu können. Die Kinder wollten damit spielen, aber er gab ihn nicht aus der Hand. Stattdessen beugte er sich auf seinem Sessel zu den dreien hinunter und hielt die kleine Weltkugel vor sich, als sei er der göttliche Atlas. Gespannt sahen die Kinder zu ihm auf, und er zeigte ihnen so lange, was alles wichtig war an der Welt, Äquatorneigung, Landmassenverteilung, Trockenzonen, bis sie sich einem anderen Spiel zuwandten.
    Seufzend steckte er den Globus zurück und blieb einfach sitzen. Nach einer Weile steckte die Schwiegermutter den Kopf herein und fragte, warum er nur zusehe, statt mitzuspielen, und er wunderte sich wieder einmal, warum er darauf nicht selber verfallen war, ohne anschließend etwas daran zu ändern.
    Wenn es im Haus zu eng wurde, ging er hinaus, manchmal kamen die Töchter hinterher, sie umsprangen ihn und warfen mit Hagebutten. Zum Glück trafen sie alle drei gleich schlecht, aber nachdem Hilde ihn einmal am Augenlid erwischt hatte, schrak er schon zusammen, wenn sie nur zu den Büschen liefen. Anfangs versuchte er bei solchen Angriffen noch zu lachen, wurde dann auf einmal streng, hielt Standpauken, die ihn selber kaum weniger ängstigten als die Adressatinnen, und lief endlich aus Ärger über die Kinder und sich selbst mit großen Schritten vorneweg.
    Manchmal fragte er sich, ob seine Töchter zu wenig Geschwister hatten, dass sie es immerzu auf ihn absahen. Hilde knabberte neuerdings an den Fingernägeln, was Wegener schlecht sehen konnte. Wenn er es bemerkte, riss er ihr die Hand aus dem Mund und war durchaus streng.
Zusätzlich gab er vermehrt darauf acht, dass sie nicht im Raum war, wenn er selber an den Nägeln kaute.
     
    Alle drei lernten nun Blockflöte, auf Elses Wunsch. Die Geräusche waren kaum zu ertragen. Und überall lagen die Instrumente herum.

    Wegener erwachte zwischen seinen Töchtern. Nichts wünschte er mehr, als sich noch für einen Moment der Ruhe vor dem Tagesanbruch überlassen zu dürfen. Es war spät geworden, er hatte lange über seinen Büchern gesessen.
    Mit geschlossenen Augen hörte er Else, die nebenan mit dem Frühstücksgeschirr klapperte. Er hörte die Schwiegermutter bei ihrer Morgentoilette und konnte sich ausmalen, wie das Bad hinterher aussah. Er hörte seinen eigenen Atem, der sich in dem dicken Daunenkissen fing, und dahinter etwas wie Tuscheln. Auf einmal spürte er eine Berührung am Auge und wollte schon nach der vermeintlichen Fliege schlagen, da merkte er, dass es ein Finger war, der sein Lid hinaufschob. Dicht vor ihm erkannte er verschwommen die Gesichter seiner Töchter. Im Flüsterton fragten sie einander, ob er wohl wach sei.
    Wegener ließ sich zur Seite rollen, aber die Kinder ließen nicht von ihm ab. Er sollte ihnen eine seiner Geschichten erzählen. Wegener hatte Zweifel, ob das Leben als Wissenschaftler sich mit der Gründung einer Familie vertrug. Grummelnd setzte er sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Lidern. Hilde schlüpfte mit unter die Ballondecke, Käte legte den Kopf auf sein Bein, Lotte saß im Schneidersitz
vor ihm und sah ihn mit ihren riesigen Augen an. Er seufzte.
    Ob er ihnen die

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