Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
Vom Netzwerk:
allgemeinem Interesse.
    Keine Hunde diesmal. Keine Pferde. Er plante die erste Tour mit Motorschlitten. Und kaum Begleiter. Am liebsten wäre er allein gefahren.
    Im Geiste ging er durch, wer dabei sein könnte. Es würde Wegener schon gelingen, ein paar Waghalsige zu versammeln. Man musste eben von Anfang an auf die charakterliche Eignung achten. Was im Wesentlichen bedeutete, dass die Männer auch mal für ein paar Wochen den Mund halten konnten.
     
    Er schrieb Briefe um Unterstützung, womit in erster Linie monetäre Unterstützung gemeint war. Er sei, schrieb er, der Ansicht, dass Deutschland bei diesem edlen Wettstreit der Nationen nicht abseitsstehen solle, zudem müsse die volkserzieherische Seite der Polarforschung berücksichtigt werden. Stehe eine Durchquerung unerforschter Gebiete nicht höher als ein Sieg im Fußballwettstreit?
    Man fragte zurück, was die Deutschen Grönland angehe. Ob ihnen der deutsche Boden nicht näher sei. Gewiss, antwortete Wegener, nur sei dieser deutsche Boden durch ein gewaltiges, von Skandinavien ausstrahlendes Inlandeis geformt worden. Wer die Heimat verstehen wolle, müsse dorthin gehen, wo dieses Inlandeis noch heute zu finden sei.
    Sie lebten in schlechten Zeiten. Auf der ganzen Welt brachen Börsen zusammen und gingen unter wie die Landbrücken, an die Wegener nicht glaubte. Es gab freundliche
Absagen, es gab harsche Absagen, es gab Schweigen. Nach zwei Wochen traf ein Brief der Sportfirma Schuster ein, man sagte zu, die Expedition mit Taschenkompassen zu beliefern, zum Selbstkostenpreis. Immerhin ein Anfang.

    Um sich für seine Reise in Form zu bringen, bestieg Wegener den Dachstein und einige kleinere Gipfel des Tauernmassivs. Auf dem Hintereisferner in den Ötztaler Alpen nahm er so lange Eisdickenmessungen vor, bis seine Ergebnisse mit den Werten der Bohrungen übereinstimmten, die man hier seit Neuestem unternahm.
    Nach ihrem ersten Furor gegen die Reise zeigte Else sich verständig und tippte stundenlang Bedarfsaufstellungen, Gepäcklisten, Ablaufpläne, die Wegener ihr diktierte. Das Schreiben an der Maschine fiel ihr mittlerweile leichter als die Handschrift, weil sie wie beim Klavierspiel die Augen dabei schließen konnte. Zusammen mit Hilde legte sie sich im Wohnzimmer auf den Boden, und Wegener bestimmte mit dem Maßband aus Elses Nähkästchen Länge und Breite der geplanten Zweimannzelte. Die Maße schickte er an die Sportfirma Schuster, die zusätzlich angeboten hatte, Sondermodelle anzufertigen, auch dies zum Selbstkostenpreis, in Anerkennung seiner geplanten Heldentat. Wegener schickte Schuster seine Kapuzenjacke, das Geschenk ihrer Retter von der Durchquerung. Ob es möglich sei, für jeden Teilnehmer der Expedition ein solches Stück in guter Qualität zu fertigen?
    Schuster war begeistert. Diesmal verzichtete er sogar auf die Erstattung der Auslagen, erbat sich im Gegenzug aber
die Lizenz, den Schnitt für seine Kollektion zu übernehmen. Man brauche nur noch einen Namen. Wegener erklärte sich einverstanden. In einem Postskriptum ergänzte er, dort drüben sage man »Annuraaq«. Das sei Grönländisch für »gegen den Wind«. Ihnen werde schon etwas einfallen.

    Käte besuchte inzwischen die vierte Klasse des Mädchenreformrealgymnasiums. Einmal fehlte die ungeliebte Deutschlehrerin, was die Kinder in Hochstimmung versetzte. Was ließ sich mit einem geschenkten Nachmittag nicht alles anfangen! Als der Direktor eine junge Kollegin für den Ersatzunterricht bestimmte, hatten sich die Mädchen längst aus dem Schulgebäude geschlichen. In einer langen Reihe zogen sie hinaus auf die zugefrorene Mur.
    Kaum waren sie auf dem Eis, ließ Käte die Hände ihrer Freundinnen los und rannte, dass ihr der Wind in die Augen fuhr. Wie links und rechts die Welt verschwamm und ein einziges Schattenbild wurde aus Weiß und Schnee und Frost. Dann der Moment, da sie sich dem Eis überließ und einfach weiterglitt. Das Glitzern der Kristalle im Licht, das dunkle Gluckern der Mur tief unter ihr und die eisige Luft, es war ihr gleich, was am Ende der Bahn geschehen mochte. In diesem Moment glaubte Käte zu fliegen.
    Als sie dann wirklich stürzte, auf die Knie fiel, sich lachend erhob und den Schnee abklopfte, stand auf einmal die kleine Gestalt des Direktors am Ufer. Eine Wolke von Zorn dampfte aus seinem Mund. Einzeln ließ er die Mädchen vortreten, sie mussten ihre Mützen abziehen und bekamen eine nach der anderen die Ohren lang gezogen.
Käte war als Letzte an der

Weitere Kostenlose Bücher