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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Problem der Permanenz zu begegnen. Dem Gedanken fehlt jedoch, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, das Movens. Ich selbst dagegen habe einige durchaus eindrucksvolle Forschungen zu den Strömungen im Erdinnern unternommen, denen ihrerseits vielleicht ein wenig das Ziel abgeht. Passt das nicht herrlich zusammen?« Er zog die Nase hoch. »Ich könnte Ihnen bei Gelegenheit einmal den Aufsatz überlassen, den ich darüber verfasst habe. Wenn mich nicht alles täuscht, ist die Arbeit ganz passabel gelungen.« Schwinner grinste ihn durch seinen Bart hindurch an.
    Während seiner Rede war Wegener stets einen halben Schritt vorausgelaufen, so dass der andere von hinten und unten zu ihm gesprochen hatte wie ein launiger Gnom, der ihm etwas einzuflüstern versuchte. Nun blieben sie stehen. Wegener spuckte aus und fragte dann, von welchen Strömen er da spreche.
    »Thermisch bedingte Konvektionen«, beeilte sich Schwinner zu antworten, »Sie werden schon sehen, wie selbstverständlich unsere Ideen zusammengehen. Nicht schlechter als«, und dabei verzerrte er das Gesicht zu einem Lachen, »die Küsten beiderseits des atlantischen Meeres.«
    Wegener wandte sich wieder zum Gehen. Schwinner folgte ihm auf dem Fuße.
    »Anfangs bin ich mit meinen Untersuchungen dieser Strömungen vor allem auf gebirgsbildende Prozesse aus gewesen. Mittlerweile aber habe ich mich selber den Fragen genähert, die auch Sie umtreiben. Wo Ihre Forschung womöglich ein wenig zu sehr vom erkalteten Material ausgeht,
bin ich selbst vielleicht etwas zu tief in die glühende Lava getaucht.« Schwinner lachte. »Was uns verbindet, ist die Kruste.« Er lachte erneut, kurz nur, und wurde dann wieder ernst. »Auf Krustenplatten übrigens stützt sich mein ganzes Gedankenmodell. So sehen wir, wenn mir das Bild gestattet ist, von ganz unterschiedlichen Warten aus in dasselbe Gelobte Land.« Wegener bemühte sich um ein dürres Lächeln.
    Sie waren unterdessen wieder beim Blindeninstitut angelangt. Wegener sah sein Gegenüber an. Er versprach dem Kollegen, die Sache zu prüfen, wenn er ihm den erwähnten Aufsatz einmal zur Ansicht geben wolle. Man verneigte sich, und jeder ging seiner Wege.
    Der Aufsatz lag am nächsten Tag in der Post. Er umfasste beinahe hundert Seiten, Wegener überflog nur die ersten Absätze und verstand bald, was die Kollegen meinten, wenn sie von der zur Kritik anregenden Dialektik in Schwinners Schriften sprachen.
    Er hatte längst entschieden, sich auf eine Diskussion über die Ursachen der Drift nicht weiter einzulassen. Auf diese Weise ließe sich ebenso das Universum infrage stellen. Auch dessen Ursache konnte – mit Ausnahme seines Vaters – niemand erklären.

    Heimlich machte Wegener Pläne für eine neue Expedition. Nach Grönland, woher alles kam, wo sich alles ablesen ließ: die Verschiebung, das Wetter, das Eis.
    Else, die beim Reinemachen auf seine Notizen stieß, stellte ihn zur Rede: Was es mit dieser Reise auf sich habe.
Er redete lange und stockend von den Möglichkeiten, die eine solche Fahrt biete, er sprach von Eisdicken, von Positionsbestimmung und Ballonaufstiegen, räusperte sich, sprach weiter, von Firntemperaturen und von der Überwinterung.
    »Überwinterung?« Else sah ihn an.
    Wegener sprang gleich auf und lief zu ihr hin, er fasste ihre Hände, aber das Wort war in der Welt. Sie sah ihn an und streifte seine Finger ab.
    »Du musst mir versprechen, dass es deine letzte Reise ist.«
     
    Wegener schnappte einmal nach Luft – und sagte es ihr dann zu, bei allem, was ihm heilig sei. Sie entgegnete, sie wolle nicht wissen, was er damit meine.

    Bei der Durchquerungsexpedition hatte sich gezeigt, dass die alte Mär vom ortsfesten, immerwährenden Hochdruckgebiet auf dem grönländischen Inlandeis ein Irrtum war. Aber das war eine Momentaufnahme geblieben, noch dazu eine aus dem Sommer. Niemand wusste, wie es im Winter dort aussah.
    Wegeners Plan stand fest: Er würde eine Station einrichten, in der es sich überwintern ließ. Er würde sie Eismitte nennen, auf der Karte hatte er den Punkt bereits markiert. Auf halbem Wege zwischen den Küsten, an der dicksten Stelle des Eises.
    Was man alles anstellen könnte: Seehöhenbestimmungen, Messungen der Eisstärke mit dem Echo, damit spätere
Generationen einmal feststellen konnten, ob das Inlandeis zu- oder abnahm. Schweremessungen, Messungen der Gletscherbewegung. Überhaupt Messungen. Die Frage, wie tief die Temperatur hier in der Winternacht sank, war von größtem

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