Alles Land - Roman
Geschichte vom Wind schon erzählt habe. Wegener musste sich räuspern, seine Stimme schien noch nicht erwacht zu sein. Sie schüttelten den Kopf.
»Wer von euch hat eine Ahnung, wozu der Wind gut ist?«
Lotte zog die Schultern hoch und verharrte so. Hilde sagte, dass er den Menschen frische Luft bringe. »Und er hält die Drachen in der Luft!« Käte fiel noch ein, dass er die Wolken vertrieb. Außerdem helfe er den Bäumen beim Verlieren ihrer Blätter.
Wegener wiegte den Kopf. Das sei ja schön und gut. Nun gebe es aber einen Wind, der all das nicht tue. Der drehe sich nur um sich selbst, etwas anderes habe er nicht im Sinn. So treibe er sich selber an und werde dabei immer stärker. Am Ende drehe er sich so schnell, dass er alles, was ihm in die Quere komme, hoch in die Luft hebe.
Lotte sah aus, als müsste sie gleich weinen.
Einmal sei dieser Wind an einem Fischteich vorübergekommen. Aus dem habe er alles Wasser herausgesaugt und die Fische weit über das Land verstreut. Die Wassersäule aufrecht wie ein Turm. Silbern glänzend, mit seiner Spitze habe er die Wolken berührt. Kein Steinmetz hätte so wunderschöne Blumen und Schnörkel hauen können, wie der Turm sie trug.
Wegener holte kurz Luft, dann fuhr er fort und erzählte, wie dieser Wind einmal in einen Ort kam. Dort sei er einem Schwarm Hühner begegnet, die ja eigentlich nicht fliegen könnten. Der Wind aber habe die laut gackernden Tiere bis auf Höhe der Häuser emporgetragen. Gleich
danach habe es ihm gefallen, das Rathaus einzureißen. Die angrenzenden Häuser noch dazu, und auch ihre fünf Bewohner habe er entleibt.
Lotte fragte, was das heiße, aber Hilde fuhr ihr über den Mund.
Nur ein Kind, das in einem der Häuser in seiner Wiege gelegen habe, sei am Leben geblieben. Die Bewohner des Ortes hätten es gefragt, was ihm widerfahren sei, da habe es mit dem Finger zum Himmel gezeigt. Die Menschen hätten einander verwundert gemustert und gemurmelt, dieses unschuldige Kind müsse etwas Überirdisches gesehen haben.
Lotte sah aus wie ein in die Luft geworfenes Huhn.
Am Rande ebenjenes Windes habe ein gewaltiger Sprühregen geherrscht. Mit diesem Niederschlag seien auch die Gegenstände wieder heruntergekommen, die der Wind auf seinem verheerenden Zug mit sich genommen hatte: tote Krähen, Lerchen, Stare, dazu Zweige, Pfähle und vieles mehr. Weidende Kühe habe er merklich in die Höhe gehoben. Ein Knabe, der sie gehütet habe, sei fünfundzwanzig Meter weit getragen worden. Als ihn der Wind am Chausseedamm liegen ließ, habe sich der Junge niedergekniet und ein geistliches Lied angestimmt. Später habe er gestammelt, im Inneren des Windes sei es glühend heiß gewesen.
Hilde sagte mit tonloser Stimme, sie könne sich gar nicht vorstellen, wie das ausgesehen habe.
Wegener nickte. Das hätten sich alle gefragt, die nicht dabei gewesen seien. Ein Beobachter habe gesagt: wie eine Säule. Ein anderer sei ihm ins Wort gefallen, dass es aber kein steifer Gegenstand gewesen sei, eher ein Schlauch.
Ein Dritter sagte, es habe ausgesehen wie der Sauger eines Polypen.
Hilde fragte ihn, warum er die Augen so aufreiße beim Erzählen. Das mache ihr Angst. Wegener versprach, sich zu zügeln.
Leiser fuhr er fort und erzählte von dem Bader, dem es die Decke seines Schlafgemachs fortgerissen habe, so dass kein Stück mehr davon zu finden war. Stattdessen seien die Balken anderer Häuser auf seinem gelandet. Beim Wegräumen habe er allerlei Hausrat gefunden: Bratspieße, Flachs, Hecheln, Siebe, Körbe, einen großen Kochlöffel und vieles mehr. Nun gehörte das ja nicht ihm, deshalb habe er es in der Stadt herumgezeigt. Es habe sich aber niemand dazu bekannt.
Am Ende sei der Türmer vom Ratsturm herunter auf die Straße gewankt. Er berichtete von einem Gefühl, als würde ihn etwas in die Luft heben. Am Himmel habe er ein seltsames Gesicht gesehen. Noch Tage später war es ihm unmöglich, genauer davon zu reden. Sobald er es versuchte, erzitterten alle seine Gliedmaßen, und es graute ihn vor Furcht.
An dieser Stelle begannen die Kinder zu weinen. Wegener nahm sie alle zusammen in den Arm und blieb so, bis ihr Schluchzen allmählich weniger wurde. So lange sah er aus dem Fenster in den Himmel, der leer war.
Auf einem seiner einsamen Spaziergänge stieß Gangolf Schwinner zu ihm und war nicht abzuschütteln. Jetzt erst habe er herausgefunden, wo ihre Neigungen sich berührten.
»Sie sind da auf eine durchaus interessante These verfallen, um dem
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