Alles muss versteckt sein (German Edition)
Bett, auf dem Boden, dicke Spritzer und Kleckse an den Wänden, über Patricks Körper verteilt und an der Klinge des großen Fleischermessers, das sie mit ihrer rechten Hand noch so fest umklammert hielt, als wolle sie im nächsten Moment wieder zustechen.
»Ich weiß es nicht«, wiederholt Marie, »ich kann mich an nichts erinnern.« Und deshalb weiß sie es eben wirklich nicht.
»Du kannst dich nicht erinnern?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Dann glaube ich das einfach nicht!«
»Was glaubst du nicht?«
»Dass du so etwas getan hast! Doch nicht du, nicht ausgerechnet du, dazu bist du doch gar nicht fähig!«
»Sie sagen aber, dass ich es gemacht habe«, gibt sie trotzig zurück. Wer konnte schon wissen, wozu sie fähig war? »Und ich glaube es auch.«
Auch wenn sie per Gesetz zur Tatzeit nicht ganz bei sich gewesen war, nicht alle Tassen im Schrank gehabt hatte. So hatte es ihr der Anwalt erklärt, Paragraf 20, Strafgesetzbuch: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung. Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Schwachsinn, dieser Begriff hatte es ihr besonders angetan. Er klang so schön … schwachsinnig. Ja, sie war schwach. Nicht nur im Sinn, auch in Herz und Seele.
Neben den Beweisen, die keinen Zweifel an ihrer Mordtat ließen, neben den Gutachten der Experten, die ihr im Zuge des Verfahrens eine vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit und Amnesie infolge der Tat bescheinigten, hatte sie doch genau dieses Szenario in ihrem Kopf schon vorher zigfach durchexerziert, wieder und wieder. Wie sie neben Patrick liegt, der ahnungslos schläft, wie sie in die Küche schleicht, das große Messer aus dem Holzblock neben dem Herd zieht und es im Schlafzimmer gegen Patricks Kehle drückt.
Dann ein einziger, kräftiger Schnitt, direkt über dem Adamsapfel, quer über den Hals, von links nach rechts fetzt es tief durchs Fleisch, durchtrennt alles, Luftröhre, Sehnen, die Halsschlagader. Und Patrick, der erschrocken die Augen aufreißt, nicht verstehend, wie ihm gerade geschieht. Ein starrer, ungläubiger und entsetzter Blick, dann das Röcheln, das Blut, das aus seiner Aorta sprudelt und spritzt, sich rechts und links von seinem Kopf übers Kissen verteilt, ergießt wie ein Strom aus Lava, Patricks Hände, die hilflos in der Luft herumrudern und versuchen, Maries Arme zu ergreifen.
Das alles hatte sie sich schon vor der Tat vorgestellt, wieder und wieder, hatte es sich in den grausamsten Details ausgemalt, wie sie Patrick im Todeskampf beobachten würde, um am Ende wie von Sinnen auf seinen leblosen Körper einzustechen.
Mal hatte sie auch daran gedacht, ihm das Genick zu brechen, ein gezielter Tritt seitlich gegen seinen Kopf, während er im Bett neben ihr schläft, das laute Knacken der berstenden Wirbelsäule. Doch wesentlich häufiger war die Messerfantasie – und letztlich ist es nun auch ebendiese geworden.
»Doch, ich hab’s getan«, wiederholt sie, obwohl sie doch fast wahnsinnig darüber wird, dass sie sich trotz aller Beweise an nichts erinnern kann, dass in ihrem Kopf nur ein großes schwarzes Nichts ist. Doch das sagt sie Christopher nicht, spricht nicht aus, dass ihr diese letzte Gewissheit fehlt.
Aber er tut es: »Wie kannst du dir so sicher sein? Du hast doch selbst gesagt, dass du dich an nichts erinnerst!«
»Nein, das tue ich auch nicht.«
»Wenn du dich nicht erinnern kannst, warum bist du dann trotzdem davon überzeugt, dass du es getan hast?«
»Weil die Beweise eindeutig sind und die Ärzte es auch glauben«, antwortet sie. »Und wer soll es auch sonst gewesen sein? Es war ja niemand da außer mir.« Sie spürt, wie die bleierne Müdigkeit, die sie nun schon so gut kennt, wieder von ihr Besitz ergreift. Sie will nicht darüber reden, das will sie nicht. Nicht mit Dr. Falkenhagen und auch nicht mit Christopher. Lieber soll er wieder dahin zurückfliegen, woher er gekommen ist, nach Australien, ans andere Ende der Welt. Und sie einfach hier allein lassen. Allein und in Ruhe, Marie will einfach nur schlafen, mehr will sie doch gar nicht. Sie will ihre Hände seinem Griff entziehen, aber er hält sie weiterhin fest.
»Aber selbst wenn«, sagt er. Aha! Selbst wenn! Für so ausgeschlossen hält er es also doch nicht, eine schöne Show,
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