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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Stupsnase und die Sommersprossen, der fehlende Schneidezahn im Oberkiefer, den sie sich kurz nach ihrem sechsten Geburtstag selbst herausgerupft hatte, weil er doch »schon ganz doll« wackelte. Maries Hals schnürt sich zusammen, ruckartig schnellt ihr Kopf zur Seite, sie wirft ihn hin und her, ein lächerlicher Versuch, die Bilder, die jetzt vor ihrem inneren Auge tanzen, zu verscheuchen. Das hat ja schon früher nicht funktioniert, genauso wenig wie schreien oder sich die eigene Haut aufkratzen, bis das Blut kam.
    Auch jetzt läuft der Film einfach weiter. Sie sieht Celia, wie sie auf ihrem neuen Scooter-Roller den Bürgersteig entlanggeschossen kommt. Ihre geflochtenen Zöpfe flattern im Wind auf und ab, auf ihrem Rücken schwingt der neue Scout-Tornister mit jedem Schwungholen hin und her, sie strahlt Marie an, strahlt von einem Ohr zum anderen, ruft nach ihr und dann …
    »Celia würde nicht wollen, dass ihre Mutter eingesperrt ist.«
    »Hau ab!« Jetzt hat Marie es doch laut gesagt. Nein, sie hat es fast geschrien, weil es ein solcher Schwachsinn ist, was er da sagt. Und gleich noch einmal: »Hau ab!«
    »Marie … «
    »Du sollst verschwinden, habe ich gesagt! Jetzt geh endlich, ich will dich hier nicht haben!« Als er einfach sitzen bleibt, springt sie auf, stürzt sich mit erhobenen Fäusten auf ihn und schlägt auf ihn ein. Christopher schnellt ebenfalls von seinem Stuhl hoch, wehrt ihre boxenden Hände ab, keiner ihrer Schläge kann ihn wirklich treffen, er ist viel zu groß und kräftig für sie, die nur noch ein abgemagertes Nichts ist.
    »Bitte, Marie!«
    »Hau ab! Lass mich in Ruhe!«
    »Was ist hier los?« Dr. Falkenhagen hat die Tür aufgerissen, kommt in sein Büro gestürzt. Direkt hinter ihm eilt ein Pfleger hinzu, in der Hand schon eine aufgezogene Spritze, allzeit zum Einsatz bereit.
    »Ist schon gut«, bringt Christopher gepresst hervor, der jetzt Maries Hände zu fassen bekommen hat und sie so fest umklammert, dass sie bewegungsunfähig ist. »Alles gut«, wiederholt er nun wieder, da Marie jede Gegenwehr aufgibt und ihre Muskeln erschlaffen. »Es ist meine Schuld«, erklärt er Dr. Falkenhagen und dem Pfleger mit entschuldigender Miene. »Ich habe sie wohl aufgeregt.«
    »Sie gehen jetzt besser«, teilt der Arzt ihm mit und wirft Marie dabei einen prüfenden Blick zu. Sie nickt stumm, um ihm zu bedeuten, dass Christopher sie loslassen kann, sie wird nicht wieder toben. Ins Vandalenzimmer, nein, da will sie nicht hin. Ihr Exmann löst seinen Griff, lässt beide Hände sinken und sieht Marie schweigend bis ratlos an. Auch sie schweigt, hat ihm nichts mehr zu sagen.
    »Kommen Sie«, sagt der Pfleger. »Ich bringe Sie nach draußen.« Einen letzten Blick noch wirft Christopher ihr zu, dann wendet er sich ab und folgt dem Stationsmitarbeiter zur Tür. Bevor er das Büro verlässt, dreht er sich noch einmal zu Marie um. »Wenn du es dir anders überlegst – ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Ein Anruf, und ich komme vorbei!«
    Ja, sicher doch. Immer. Das hat er ja schon einmal bewiesen, wie sehr er für Marie da ist!
    Er ist noch nicht ganz aus dem Raum, da passiert etwas Eigenartiges mit Marie. Sie weint. Tränen! Da sind plötzlich Tränen, wo schon lange Zeit keine mehr waren, wie aus dem Nichts ergießen sie sich über ihre Wangen.
    »Frau Neumann?« Dr. Falkenhagen. Langsam kommt er auf sie zu, legt ihr eine Hand auf die Schulter, hinter den Brillengläsern wirken seine braunen Augen nun erstaunlich beruhigend und warm. Mit sanftem Druck schiebt er sie zurück zu ihrem Stuhl, auf den sie sich erschöpft sinken lässt. Er nimmt direkt neben ihr Platz, seine Hand ruht während der gesamten Zeit auf ihrer Schulter, nicht eine Sekunde nimmt er sie fort. »Frau Neumann, wollen Sie mit mir darüber reden? Was ist hier eben vorgefallen?« Sie öffnet den Mund, bringt aber keinen Ton hervor, nur ein Schluchzen. Ein verzweifeltes, tiefes Schluchzen, das sich direkt aus ihrem Herzen zu entwinden scheint. »Lassen Sie sich Zeit. Wir können hier so lange sitzen bleiben, wie Sie möchten. Wenn Sie reden wollen, können Sie es gern tun, aber Sie müssen es nicht.«
    »Danke«, bringt sie mühsam, immer noch schluchzend, hervor. Und sie ist es tatsächlich, dankbar dafür, dass sie einfach nur so hier sitzen darf. Hier sitzen und nichts tun müssen. Im nächsten Moment, ohne dass ihr bewusst wäre, dass sie selbst es ist, die es sagt, flüstert sie: »Celia.«
    »Erzählen Sie mir von

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