Alles muss versteckt sein (German Edition)
glücklicherweise fern und spricht lieber mit Susanne, die seit heute früh zurück in ihr Zimmer durfte. Sie hat sich beruhigt, hat versprochen, ab sofort ganz brav zu sein, alles zu tun, was man ihr sagt, damit sie vielleicht doch eines Tages wieder nach Hause darf. Träum weiter. Noch so ein Kindersatz, der Marie durch den Kopf hallt. Damit haben sich die Kleinen gegenseitig aufgezogen, träum weiter, das klang so unheimlich lässig und erwachsen. Und süß, wenn es von einem Fünfjährigen kam, der sich vor einem anderen aufbaute und ihm erklärte, dass er ganz sicher nicht sein Spielzeug rausrücken würde. Träum weiter. Marie träumt. Von früher. Mehr als Träume sind nicht geblieben.
»Frau Neumann?« Hier in der Wirklichkeit steht Dr. Falkenhagen nun vor ihr und blickt auf sie herab. Seine dunkelbraunen Augen hinter den entspiegelten Gläsern seiner Designerbrille mustern sie wach, interessiert.
Schon will sie den Kopf schütteln, ihm damit wie immer bedeuten, dass sie nicht mit ihm reden möchte. Nicht heute, nicht morgen, gar nicht. Doch er scheint etwas anderes zu wollen. Was sie für wach und interessiert hält, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ein wenig aufgeregt, erfreut.
»Ja?«, fragt sie.
»Sie haben Besuch, kommen Sie mit rein?«
Besuch?
»Hallo, Marie! Wie geht es dir?« Fast knicken ihr die Knie weg, als der Oberarzt sie in sein Büro führt, wo der Besucher auf sie wartet. Christopher, Maries Mann. Genauer gesagt ihr Exmann.
Er sieht genau so aus, wie sie ihn in Erinnerung hat, immer noch der gleiche Sonnyboy, ein erwachsener Surfertyp; die Haut vielleicht ein bisschen dunkler als früher, die Sommersprossen treten deutlicher hervor, die blonden Haare sind etwas heller und länger als sonst. Aber mehr hat sich an ihm nicht verändert, als hätte Marie ihn erst gestern noch gesehen. Dabei ist ihre letzte Begegnung mehr als ein Jahr her, im Amtsgericht am Sievekingsplatz, in einem sterilen Verhandlungszimmer, wo der Richter ihre einvernehmliche Scheidung ausgesprochen hatte. Die Ehe sei zerrüttet, so war es in der Urteilsbegründung zu lesen gewesen.
»Christopher?«, fragt sie, als sei er nur eine Halluzination, wie er da an dem weißen Besprechungstisch sitzt. Mit verschränkten Armen, seine Finger trommeln im nervösen Rhythmus auf seinen Ellbogen herum. In einer kleinen Plastikschale vor ihm liegen seine Sachen wie Portemonnaie, Auto- und Wohnungsschlüssel, die er an der Sicherheitsschleuse am Eingang aus den Taschen hatte nehmen müssen. Wie am Flughafen wird hier jeder Besucher vor dem Einlass kontrolliert und durchleuchtet, damit er keine Waffen oder Drogen einschmuggeln kann.
»Marie!«, wiederholt er, steht auf und kommt zaghaft ein paar Schritte auf sie zu, hält aber kurz vor ihr inne, als wolle er einen Sicherheitsabstand zu ihr wahren.
»Ich lasse Sie einen Moment allein«, erklärt Dr. Falkenhagen und verlässt sein Büro. Zurück bleiben Marie und Christopher, stehen schweigend und unsicher voreinander, keiner scheint so recht zu wissen, was er nun tun soll. Ob es in diesem Besprechungsraum eine versteckte Kamera gibt?, fragt Marie sich unwillkürlich. Schließlich hat sie bereits einen Menschen getötet – das heißt, eigentlich hat sie sogar zwei auf dem Gewissen – da werden sie wohl nicht eine erneute Bluttat riskieren.
»Marie«, sagt Christopher dann ein drittes Mal, jetzt fast seufzend, fast ein bisschen wehmütig. Oder mitleidig? Ehe sie noch zu einem Schluss kommen kann, wie sie den Tonfall ihres geschiedenen Mannes interpretieren soll, hat er zwei weitere Schritte auf sie zu gemacht, legt seine Arme um sie und zieht sie an sich. Sie lässt es geschehen, lässt zu, dass er sie an sich drückt, ihre Wange die seine streift. Angst scheint er nicht vor ihr zu haben. Wie im Reflex erwidert Marie Christophers Umarmung, legt eine Hand auf seinen Rücken, während sie mit der anderen flüchtig über seinen Kopf streichelt. Sie spürt die Wärme seines Körpers, sogar seinen Herzschlag, so etwas hat sie lange nicht mehr gefühlt. Ich fühle , denkt sie beinahe überrascht, ich fühle tatsächlich etwas!
Nur ein paar Sekunden dauert die Berührung an, dann lässt Christopher sie los und nimmt wieder Abstand von ihr.
»Rauchst du?«, will er irritiert wissen, doch ehe sie ihm antworten kann, schüttelt er den Kopf, als würde ihm selbst in diesem Moment klar werden, wie unwichtig seine Frage ist. »Warum hast du mich nicht angerufen?«, will er stattdessen
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