Alles muss versteckt sein (German Edition)
ihr.«
3
E s war der letzte Ferientag im August. Ein schwüler Mittwochnachmittag, den wir am Oortkatensee südlich von Hamburg verbrachten. Ich lag träge auf meinem großen Badelaken, neben mir spuckte ein Einweggrill seine letzten Rauchschwaden in die Luft, um mich herum verteilten sich schmutzige Plastikteller und - becher, die ich nachher einsammeln würde, gleich, nur noch eine kleine Rast nach unserem Mittagessen mit Würstchen, Hähnchenflügeln, selbst gemachtem Kartoffel- und Obstsalat.
Den Kopf in einer Hand abgestützt, sah ich runter zum Wasser, das im Licht der sinkenden Sonne funkelte und glitzerte wie ein Spiegel, der in Millionen von Scherben zersprungen war. Kindergeschrei und - lachen wehten an mir vorüber. Wie unter einer riesigen Glasglocke lag die gesamte Szenerie, fast unwirklich, ein friedlicher Augenblick des Glücks an diesem warmen Nachmittag im August, eine stille Momentaufnahme in Zeitlupe, bevor am nächsten Tag wieder das normale Leben beginnen würde.
Direkt am Ufer des Sees standen Christopher und Celia, ganz vorn im Wasser, das unserer Tochter bis zu den Knien reichte. Er half ihr, das kleine Segel auf ihrem Surfbrett im Wind auszurichten. Zwar ging nur eine schwache Brise, trotzdem war sie stark genug, dass unsere Tochter sichtlich mit ein paar Böen zu kämpfen hatte. Seit über einem Jahr hatte sie gequengelt und darum gebettelt, dass ihr Vater ihr das Windsurfen beibringen sollte, weil sie genauso wie er durch die Wellen preschen wollte. Wichtiger als Löcher in den Ohrläppchen oder ein Handy oder ein Pony oder irgendetwas anderes, das sich ihre Freudinnen wünschten, war ihr das gewesen, und zu Beginn dieses Sommers hatte Christopher entschieden, dass Celia nun alt und groß genug sei, um Surfen zu lernen.
»Schließlich kommst du im Herbst in die Schule«, hatte er gesagt, als Ende Juni am Morgen ihres sechsten Geburtstages ein Brett, Segel, Anzug und Schuhe aus Neopren im Flur vor ihrer Zimmertür lagen. »Für mich?«, hatte Celia fassungslos gefragt, und ich hatte noch einen kindischen Witz gemacht: »Nein, für den Weihnachtsmann. Der kommt dieses Jahr nicht mit dem Schlitten, sondern auf dem Surfbrett!«
Voller Eifer hatte sich Celia sofort ans Lernen gemacht, hatte alles aufgesogen, was Christopher ihr erklärte, von Luv und Lee, Halsen, Wenden und Kreuzen, Vorfahrtsregeln und Rettungsmaßnahmen, so viele Dinge, dass mir allein vom Zuhören abends am Küchentisch schon der Kopf schwirrte. Jeden Tag in diesem Sommer fuhren wir runter zum See, und während mein Mann und Celia erst Theorie paukten, um dann zur Praxis überzugehen, lag ich in der Sonne, las ein bisschen, döste vor mich hin oder bereitete etwas zum Essen vor, genoss diese faulen Urlaubstage und das Gefühl, dass in meinem Leben alles richtig und perfekt war. Richtig und perfekt, schöner, als ich es mir je hätte erträumen können.
Wie groß Celia jetzt aussah! Mein kleines Mädchen in einem dunkelblauen Neoprenanzug, der noch überall am Körper schlackerte, die blonden Haare mit einer meiner Spangen zur Banane hochgesteckt, die Gesichtszüge hoch konzentriert und entschlossen. Mit beiden Händen umfasste sie den Gabelbaum, schob das Segel in den Wind, so, wie mein Mann es ihr immer wieder gezeigt hatte. Noch flatterte die Membran kraftlos hin und her, doch in der nächsten Sekunde blähte sie sich plötzlich unter vollem Druck, der Mast stellte sich senkrecht auf, Celia stieg mit einem großen Schritt auf ihr Brett und glitt hinaus auf den See, ein stolzes Lächeln erhellte ihre Züge.
»Mama!«, rief sie. »Mama, guck schnell, ich fahre! Ich fahre!« Sofort sprang ich von meinem Handtuch auf, riss begeistert wie ein Fan beim vier zu null in der Fußball- WM beide Arme in die Höhe und winkte meiner Tochter zu.
»Toll!«, rief ich zum See runter. »Das ist wirklich großartig, mein Schatz!« Und Christoper, auch er klatschte und jubelte, nahm den Fotoapparat zur Hand und knipste Celia bei ihrer ersten großen Fahrt. Wie ihre erste große Fahrt ins Leben kam es mir damals vor, und mir stiegen beinahe Tränen in die Augen, so gerührt war ich in diesem Moment, weil er meiner Tochter so wichtig war.
Später würde das Bild von Celia bei uns zu Hause auf der Anrichte neben dem Esstisch stehen, eine Erinnerung an diesen letzten freien Tag im August, als wir alle noch nicht wussten, dass die Tage dieser Unbeschwertheit weniger als gezählt waren. Aber das ahnten wir eben nicht, als wir abends nach
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