Alles muss versteckt sein (German Edition)
die er da gerade abgezogen hat. Von wegen »das passt nicht zu dir«! »Du bist krank, Marie«, fügt Christopher hinzu. »Schrecklich krank, das hier ist nicht der richtige Ort für dich!«
»Eben weil ich krank bin, ist er genau richtig.«
»Lass dir doch von mir helfen.«
»Helfen?«
»Ja, ich werde dich hier rausholen. Ich werde mit einem Anwalt sprechen, wir werden das Verfahren noch einmal neu aufrollen, das muss alles ein Irrtum sein, ich kann mir nicht vorstellen … «
»Nein«, unterbricht Marie ihn und ist überrascht, wie energisch sie dabei klingt.
»Nein?« Christopher sieht sie verständnislos an. »Aber wir müssen doch etwas tun!«
»Warum?«
»Warum?«, wiederholt er, als hätte er Marie nicht verstanden. Einen Moment lang sieht er ratlos aus, dann holt er tief Luft. »Weißt du eigentlich, wo du hier bist?«
»Natürlich weiß ich das.«
»Und da fragst du allen Ernstes, warum ich dich rausholen will?«
»Ja, das frage ich dich«, sagt sie und klingt dabei ganz ruhig. Sie verkneift sich ein »Ob ich hier bin oder sonst wo, kann dir doch gleichgültig sein«. Ja, das verkneift sie sich, auch wenn es die Wahrheit ist. Nun ist es Christopher, der ihre Hände loslässt, seinen Stuhl nach hinten stößt, dass er beinahe umfällt, aufspringt und unruhig durch das Büro wandert. Zwei, drei Mal läuft er vom Tisch zur Tür und wieder zurück, dann bleibt er direkt vor Marie stehen.
»Marie, das ist eine Irrenanstalt !« Selbst bei diesem Wort verzieht sie keine Miene, denn das weiß sie doch selbst. »Du bist hier unter Mördern, Geisteskranken, Schwerverbrechern!«
»Ja«, sagt sie. Und denkt gleichzeitig: Ich bin eine Mörderin, eine Geisteskranke, eine Schwerverbrecherin. Also bin ich wirklich ganz zu Recht hier, es ist eben kein Irrtum.
»Begreifst du eigentlich, dass du vielleicht nie wieder rauskommst?«, fährt er sie an.
»Ja«, sagt sie wieder. »Das habe ich schon verstanden.« Christopher stößt einen gequälten Laut aus, stemmt beide Hände in die Hüften und mustert sie von oben herab.
»Und das ist dir egal?« Marie antwortet nicht, sondern betrachtet stattdessen wieder ihre Hände. Sie braucht wirklich Zitronensaft und Creme, ganz dringend sogar, so wie jetzt kann sie doch nicht weiter herumlaufen. »Sieh mich bitte an!« Sie hebt den Kopf. »Das kann dir doch nicht egal sein!«
»Doch. Alles ist egal. Es gibt für mich keinen Grund mehr, hier rauszukommen. Mir geht es gut, und ich will einfach nur schlafen.«
»Marie!« Jetzt setzt er sich wieder auf seinen Stuhl. Hätte sie ihre Hände nicht mittlerweile unterm Tisch zwischen ihre übereinandergeschlagenen Oberschenkel geschoben, er würde mit Sicherheit wieder nach ihnen greifen. So aber stützt er sich mit beiden Ellbogen auf, verschränkt die Finger wie zum Gebet ineinander und stützt sich mit dem Kinn darauf. »Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber ich kann nicht mit ansehen, wie du dich aufgibst.« Dann geh doch! , möchte sie ihn am liebsten anbrüllen. Hau ab! Dann musst du es auch nicht mit ansehen! »Du sprichst ja nicht einmal mit den Ärzten, hat Dr. Falkenhagen mir gesagt, verweigerst jede Form der Therapie. Denkst du nicht, dass dir zumindest das helfen könnte?«
Marie schüttelt den Kopf.
»Willst du wirklich einfach nur so hier rumsitzen und dein Schicksal über dich ergehen lassen?«
Jetzt nickt sie, ja, genau das will sie. Das Schicksal, das gute alte Schicksal, mit dem hat sie immerhin schon die eine oder andere Erfahrung machen dürfen, inzwischen sind sie so etwas wie Freunde geworden.
»Celia«, sagt Christopher auf einmal und Marie zuckt zusammen.
»Was?«
»Celia«, wiederholt er den Namen ihrer gemeinsamen Tochter. »Wenn schon nicht für dich selbst, solltest du es wenigstens für Celia tun.«
»Celia ist tot!«, fährt Marie ihn an.
»Das weiß ich.« Jetzt streckt er wieder seine Arme nach ihr aus, aber Marie lässt ihre Hände zwischen den Oberschenkeln eingeklemmt, presst die Beine noch fester zusammen, als würde ihr das ein wenig Halt geben.
»Wie kannst du dann sagen, dass ich es für sie tun soll? Willst du dich über mich lustig machen? Und über Celia gleich mit?« Wut steigt in ihr auf, er hätte den Namen ihrer toten Tochter nicht erwähnen sollen, nicht erwähnen dürfen !
Sofort sieht sie ihr kleines Mädchen vor sich. Die blonden lockigen Haare, die sie von ihr, Marie, geerbt hat, dazu die grauen Augen mit braunen Sprenkeln, ganz ihr Vater. Die vorwitzige
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