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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Christopher zusammen, über zehn Jahre, da gab es keinen Grund, andere Männer anzurufen. Und auch wenn es wirklich keine große Sache ist – die vergangenen Monate haben ihr gezeigt, dass es auch die kleinen Sachen sein können, vor denen man panische Angst haben kann: Einkaufen. Auf einen Bus warten. Ein normales Essbesteck halten. Und einen Mann anrufen, der nicht ahnt, welche Probleme sie gerade hat, das gehört auch zu den Sachen, vor denen sie jetzt Angst hat. Aber soll sie deshalb darauf verzichten? Auf Dinge, die doch das Leben erst zu dem machen, was es ist?
    »Hallo?« Patrick geht nach dem zweiten Klingeln ran, Marie nimmt allen Mut zusammen und sagt ganz einfach: »Hallo, hier ist Marie.«
    »Marie!«, ruft er und klingt dabei, als hätte er soeben die Million im Lottojackpot geknackt. »Schön, dass du mich endlich anrufst! Wann sehen wir uns?«
    Sie treffen sich noch am selben Tag an der Elbe. Das Wetter ist schön, und Patrick hat vorgeschlagen, zur »Strandperle« zu gehen. Da sitzt Marie auf einem der unbequemen Holzklappstühle mit Blick aufs Wasser und die großen Pötte, die langsam vorüberziehen und dabei Bugwellen schlagen, den Hafen mit seinen Kränen und Stahlhochsilos, drüben in Finkenwerder das riesige Airbus-Gelände. Vor sich hat sie einen großer Becher mit Apfelsaftschorle, den Patrick an dem kleinen Strandkiosk für sie besorgt hat, er selbst trinkt Alsterwasser und redet auch wie ein Wasserfall. Schon bei der Begrüßung nicht die geringste Peinlichkeit, kein unsicheres Schweigen, nach zwei Küsschen links und rechts auf die Wange hat er sofort losgelegt; hat noch einmal betont, wie sehr er sich über Maries Anruf gefreut hat und dass er schon kurz davor war, Vera zu fragen, ob sie ihre Nummer hat und dass er etwas Angst hatte, sie würde sich nicht bei ihm melden.
    Eine entwaffnende Ehrlichkeit, so entwaffnend, wie Marie sie eigentlich nur von Kindern kennt. Schön findet sie das, so viel schöner als das, was die meisten Erwachsenen tun, die nicht zeigen wollen, was in Wahrheit in ihnen vor sich geht. Und was da so alles in einem Menschen vor sich gehen kann, das weiß Marie ja selbst am besten. Doch während sie mit Patrick an der Elbe sitzt, zusammen mit Tausenden von anderen Menschen, die alle den warmen Julinachmittag dazu nutzen, ein bisschen an die frische Luft zu kommen; während sie es genießt, ein ganz normales Date zu haben, eine erste Verabredung, ein bisschen kribbelige Aufregung, scheinen die dunklen Schatten der letzten Wochen sich aufzulösen, nicht das kleinste Wölkchen zeigt sich am Horizont, überall nur strahlend blauer Himmel, um sie herum und in ihr auch.
    »Ich wollte schon mit zehn Jahren Schriftsteller werden«, erzählt Patrick. »Mit dreizehn habe ich dann ganz furchtbare Gedichte geschrieben, die ich damals aber für große Kunst hielt.« Er lacht. »Wenn ich heute mal in meine alten Hefte gucke, sind sie allerdings eher gruselig schlecht.«
    »Ich würde gern mal was von dir lesen«, sagt sie.
    »Kein Problem, ich geb dir gern ein Buch von mir.«
    »Ich lese aber langsam«, warnt sie ihn.
    »Macht doch nichts«, antwortet er. »Dann geb ich dir einfach was Kurzes.«
    »Dein Erstes hätte ich gern. Das, mit dem du angefangen hast.«
    Er hebt abwehrend die Hände. »Das lieber nicht!«
    »Warum denn nicht?«
    »Glaub mir, mein Erstling ist nicht besonders gut, den darfst du echt nicht lesen – eine Jugendsünde, für die ich mich heute schäme. Ich geb dir was anderes.«
    »Okay«, erwidert sie und lässt dabei ihren Blick am Elbstrand entlangschweifen. Viele Paare sind unterwegs, mal mit, mal ohne Hund, Familien mit Kindern, Gruppen von Jugendlichen, einige sitzen auf Picknickdecken und haben einen Grill dabei, so wie sie früher oft mit Christopher und Celia am Oortkatensee; etwas weiter entfernt versucht ein Vater, seinem Sohn zu zeigen, wie man einen Lenkdrachen steigen lässt. Aber es ist fast windstill, sodass der Drachen in der Luft nur ein paar Mal träge hin und her dümpelt, bevor er wieder kraftlos zu Boden sinkt. Windsurfen, Marie denkt ans Windsurfen, an sich blähende Segel, an ein kleines Mädchen, stolz und glücklich bei seiner ersten Fahrt; sie bemüht sich, die Erinnerung zu verscheuchen, indem sie sich wieder Patrick zuwendet und versucht, sich voll und ganz auf ihn zu konzentrieren. Sie will jetzt nicht traurig werden, jetzt nicht, nicht an diesem schönen Julinachmittag am Elbstrand.
    »Dein Bruder schreibt auch, habe ich

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