Alles muss versteckt sein (German Edition)
brav zu sein und alles zu tun, was ich verlange, wenn er nur in Hamburg bei uns bleiben darf.« Ein großes Kreuzfahrtschiff fährt vorbei, Patrick blickt ihm nach, als würden seine Gedanken mit dem Ozeanriesen auf Reisen gehen. Eine Weile sagt er nichts, streichelt nur weiter Maries Hand und sieht dem Schiff hinterher. »Und du?«, fragt er, als er sie wieder ansieht. »Was ist mit deiner Familie?«
»Meine Mutter lebt noch, mein Vater ist auch schon tot«, sagt sie und hört dabei selbst, wie knapp und ausweichend es im Vergleich zu Patricks Offenheit klingt. Aber bevor er weiterfragen kann, steht sie auf. »Komm, lass uns ein Stück spazieren.«
»Gut.« Er steht ebenfalls auf. Als sie losgehen, nimmt er Maries Hand, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, zusammen mit ihr Hand in Hand an der Elbe entlangzuschlendern.
»Früher wollte ich immer so eins haben«, erzählt Marie, als sie an den bunten Kapitäns- und Lotsenhäuschen in Övelgönne vorbeigehen. »Ein kleines Haus direkt an der Elbe, mit einer hölzernen Veranda und einer Gartenschaukel.«
»Auf der man aber leider nie sitzen kann«, erwidert Patrick, »weil sich bei schönem Wetter die Menschenmassen vor der eigenen Haustür vorbeischieben.«
»Stimmt«, sagt sie und grinst ihn an. Er hat recht, sie kommen kaum voran, so dicht ist der schmale Weg von Spaziergängern bevölkert.
»Aber schön sind sie wirklich«, sagt er und bleibt mit Marie vor einem besonders schönen Haus mit besonders schöner Veranda stehen. Die allerdings – so, wie alle anderen auch – von seinen Besitzern tatsächlich nicht genutzt wird, weit und breit ist niemand in Sicht. »Ich würde mich hier trotzdem nicht verscheuchen lassen. Einfach einen Schaukelstuhl hinstellen, darin gemütlich vor- und zurückwippen, ein gutes Buch lesen und hin und wieder den Spaziergängern zuwinken. Man könnte sogar kalte Getränke verkaufen, das würde ich dann auch noch machen.«
»Ich auch«, sagt Marie und drückt seine Hand. Er erwidert den Druck, und so stehen sie einfach nur eine Weile schweigend vor dem Haus. Marie kann sich fast vorstellen, wie sie da mit Patrick sitzt, als wäre es die Veranda ihres Lotsenhäuschens. Ein schöner Gedanke, seit langer Zeit mal wieder ein schöner, vollkommen harmloser Gedanke. Nun ja, vielleicht ein etwas verfrühter Gedanke, sie kennt Patrick ja kaum.
»Hast du Kinder?«, fragt er plötzlich. Sie schüttelt den Kopf. Flüstert dann: »Nicht mehr, meine Tochter ist vor fast zwei Jahren gestorben.« Er sagt nichts, setzt sich einfach wieder in Bewegung und lenkt sie weiter durch das Menschenmeer, wie ein Lotse in den sicheren Hafen.
Später am Tag, es ist schon dämmrig, sitzen sie nebeneinander am Strand. Den ganzen langen Weg bis Teufelsbrück sind sie marschiert, haben sich direkt unten am Wasser ein Plätzchen gesucht, ihre Jacken zu einer Decke zusammengeschoben und sich darauf niedergelassen. Patrick hat einen Arm um Maries Schulter gelegt.
So sitzen sie da, lauschen den Wellen und den knackenden Lagerfeuern, die jetzt am Abend überall am Strand brennen und den Abendhimmel zum Flackern bringen, während irgendwo in der Ferne jemand Gitarre spielt.
»Ist es okay, wenn ich dich frage, wie deine Tochter gestorben ist?«
Sie zögert einen Moment, horcht in sich hinein, lauert darauf, dass das beklemmende Gefühl und der Kummer in ihr aufsteigen, wie es meistens passiert, wenn sie an Celia denkt. Aber da ist nichts, hier in Patricks Arm ist es gut.
»Ja, ist okay.« Sie erzählt ihm von Celia und wie sie starb. Noch nie hat sie jemandem so davon erzählt, wie sie es jetzt tut. Von ihren Schuldgefühlen, diesen übermächtigen Schuldgefühlen, die sie nicht mal Christopher gegenüber zugeben konnte, weil sie sprachlos war, stumm und gefangen in ihrer eigenen Angst. Er sagt nichts, hört nur zu.
Fast ist Marie versucht, ihm alles zu beichten, auch das, was nur ihre Mutter, Elli und ein paar anonyme User aus dem Internet wissen. Aber sie sagt es nicht, will nicht, dass er sie für ein Monster hält und von ihr abrückt, er soll sie weiter halten, so wie er es gerade tut. Sie weiter halten und manchmal mit einer Hand über ihre Wange streicheln, ihre Tränen fortwischen. Schscht, ei, es ist gut, alles ist gut.
In dieser Nacht ist es Marie, die Hannah mit ihrem Schluchzen weckt. Sie merkt erst gar nicht, dass es nicht mehr Patricks Hand ist, die über ihre Wange streichelt, nicht mehr sein Arm, der sie umarmt, sondern der ihrer
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